John Neumeier über die Ballett-Premiere von Jerome Robbins

Hamburg. Sagt ein amerikanischer Choreograf mit deutschem Pass, selbst weltberühmt, von einem Kollegen, der sei der "wichtigste amerikanische Choreograf der modernen Zeit", dann heißt das was. John Neumeier, Hamburgs Ballettintendant, würdigt Jerome Robbins im Ballettabend "Chopin Dances" und zeigt erstmals in Hamburg "Dances at a Gathering" und "The Concert", beide auf Klaviermusik von 200-Jahr-Jubilar Frédéric Chopin.

Ursprünglich hatte Neumeier geplant, den Robbins-Balletten die Uraufführung eines eigenen Werks "Polonia" auf Musik von Andrzej Panufnik voranzustellen. Doch er ließ davon ab: "Es ist ein Stück mit fünf Sätzen. Das würde bedeuten, dass der dann sehr lang gezogene Abend aus drei Balletten mit vielen verschiedenen Teilen bestände. Das Hauptaugenmerk sollte aber auf Robbins gerichtet sein. So bleibt es bei einem ihm und Chopin gewidmeten Abend." Neumeier verspricht, "Polonia" bei der Nijinsky-Gala zeigen.

Die etwas ketzerische Vermutung, er könne immer noch derart beeindruckt sein von Robbins' Werken, dass er die direkte Konfrontation mit ihnen scheue, weist der 71-Jährige zurück. Es war 1969, als er "Dancing at a Gathering" in New York gesehen hatte. Er reagierte geschockt und überwältigt auf die Leichtigkeit, die Präzision im Detail, den sprudelnden Erfindungsreichtum, die Selbstverständlichkeit auch, mit der Tanz und Musik wie im selben Augenblick geboren erscheinen.

"Es war ein positiver Schock", sagt Neumeier heute. "Denn wenn ich etwas wirklich Gutes sehe, macht es das, was ich selbst ausübe, wertvoller. Ich bin nicht neidisch auf Robbins, ich empfinde Stolz auf unseren Beruf." Nicht nur für ihn ist dieses Ballett wertvoll, das nicht mehr sein will als reiner Tanz, auch für das Hamburg Ballett ist es ein Gewinn. "Die Tänzer müssen sich mit natürlicher Selbstverständlichkeit bewegen", erklärt Neumeier. Ballettmeister erarbeiten im Auftrag des New Yorker Robbins Rights Trust pingelig genau jede Bewegung, jeden Gang, was für die hiesige, international zusammengewürfelte Compagnie offenbar schwieriger ist als vermutet.

Wie konnte Robbins, gehasst als aggressiver, mieser Charakter und gefürchtet als gnadenloser Präzisionsfanatiker, derart unbeschwerte Werke schaffen? Zumal er als hochgebildeter, künstlerisch vielseitiger, heimlich homosexueller Jude, der kurzzeitig der kommunistischen Partei angehörte und in der McCarthy-Ära Weggefährten verriet, ein zerrissenes Leben führte. "Zu mir war Robbins in den wenigen Begegnungen sehr freundlich und kollegial", erinnert sich John Neumeier. "Es war der Höhepunkt der Hippie-Zeit, in der Robbins 'Dancing at a Gathering' schuf. Diese Befreiung schwingt im Werk mit."

Chopin Dances 5.12.,18.00, Staatsoper, Karten T. 35 68 68; www.staatsoper-hamburg.de