Dieses Wochenende ist Nino Haratischwilis neues Stück im Lichthof zu sehen

Hamburg. Zu Beginn sind die wandhohen Papierblätter von Silke Rudolphs Bühnenraum im Lichthof blank und leer. Am Schluss von Nino Haratischwilis eindringlich gespielter und fesselnder Inszenierung ihres neuen Stücks "Das Jahr von meinem schlimmsten Glück" fallen die Rückseiten beschrieben zu Boden. Die Geschichte von Ivy und ihrer Liebe zum verheirateten Dario ist erzählt.

Eigentlich ist sie durch ihr Fehlen vor den Augen der Zuschauer zustande gekommen: In den Prozessen von Erinnern, Bildwerden im Spielen und Niederschreiben. Denn die Hauptfigur (Verena Reichardt) - das Gedächtnis leer wie blankes Papier durch ein Unfalltrauma - sucht sich ihres Lebens zu entsinnen. Der Kopffilm nimmt Gestalt an durch die aufgespaltenen Ichs, die in aparten schwarzen Kostümen (Gunna Meyer) erinnerte Bilder und Texte wie Kalligrafien in den weißen Raum schreiben: unter den Blicken Ivys, der verwunderten Beobachterin und Autorin ihres eigenen Dramas.

Mit diesem Kunstgriff gelingt es der Regisseurin Haratischwili, ihre im Kern konstruiert und trivial wirkende Dreiecksgeschichte zu einer ironisch gebrochenen Reflexion über die (Theater-) Kunst und die Tragikomik des Liebens zu machen: Denn nichts erscheint den Menschen so wünschenswert, wie das, was ihnen so viel Leid bringt. Sie suchen im anderen ihr Heil, anstatt es in sich selbst zu entdecken. Ivy spiegelt und findet sich in der Begegnung mit den anderen fünf Figuren. Sie sind Charakterseiten ihrer Person und zugleich die Akteurinnen ihres Lebens. Lisa Grosche verkörpert die Naivität und Sehnsucht der jungen Frau, deren Traum ursprünglich nicht die Liebe, sondern das Theater ist.

Dass die Frauen sich auch die Männerrollen - von Dario und seinem Sohn Rezo - wie Stafetten mittels Anzugsjacke von Szene zu Szene weitergeben, gibt der Inszenierung zusätzlichen Reiz. Denn die fabelhaften Schauspielerinnen entdecken in sich den Mann. Oder das, was sie dafür halten und aus ihrer Sicht an feigen, gefühlsscheuen Machos kritisieren. Solveig Krebs verleiht dem Verführer Dario routinierten Charme und selbstgewisse Intellektualität, Nino Burduli, Gast aus Georgien, das expressive Pathos der Leidenschaft. Als dessen Gattin Ariane führt Susanne Pollmeier zutiefst getroffen die zentrale Aussprache mit der Geliebten ihres Mannes, in der Anja Topf süffisant die Kaprice und Komödiantik eines Bühnenstars parodiert.

Präzise im Absetzen von Tonfall und Gestik, springt das Quintett von Rolle zu Rolle, von Situation zu Situation und setzt in den skizzenhaft, doch gestochen scharf in den Raum gestrichelten Szenen die Geschichte zusammen, erzählt berührend und unterhaltsam von der Liebe als der "noch immer gesündesten Krankheit".

Das Jahr von meinem schlimmsten Glück 4./5.12., 20.15, Lichthof, Karten: T. 85 50 08 40; www.lichthof-hamburg.de