Der Dirigent Frank Strobel begleitet den Filmklassiker “Metropolis“.

Kampnagel. Dieser Dirigent probt verkabelt und mit Stoppuhr. "Zehn Sekunden Vorlauf", sagt er zu den Orchestermusikern und gibt dann einen raubkatzenhaft straffen Einsatz. Bricht ab, wendet sich kurz an die Holzbläser, lässt eine Passage spielen - der Mann macht kein Wort zu viel.

"Meine Güte, das Ding schließt ja wasserdicht", sagt Frank Strobel am Ende der Probe, zieht den Stöpsel aus dem linken Ohr und lacht. Sein Blick bohrt fast wie Röntgenstrahlen, sein Gang federt - auch noch am Ende eines Probentages, bei der die Technik so versagte, dass Strobel ohne Bild proben musste. Nur mit Tonspur. Und das einem Filmmusikdirigenten.

Die sind eine seltene Gattung. Der 44-jährige Strobel hat auf der ganzen Welt vielleicht noch eine Handvoll ähnlich spezialisierter Kollegen. Strobel spielt Soundtracks ein, er gibt "normale" Sinfoniekonzerte mit Filmmusik und sogenannte Filmkonzerte, bei denen ein Orchester live zur Filmvorführung spielt. Heute und morgen Abend dirigiert er auf Kampnagel das NDR Sinfonieorchester die Originalmusik von Gottfried Huppertz zu Fritz Langs Stummfilmklassiker "Metropolis".

Strobel ist förmlich in dem Programmkino aufgewachsen, das seine Eltern im Münchner Olympiadorf betrieben. "Bei uns lagen überall Filmrollen. Manchmal habe ich mir nachts im Kino allein die Filme vorgeführt", erzählt er und lacht wieder. "Metropolis" begleitet ihn schon, seit er 15 ist. Damals tourte er mit dem Film und einer Huppertz-Fassung für zwei Klaviere durch Frankreich und Norwegen, Japan und Hongkong. "Da habe ich gemerkt, das Genre ist etwas ganz Besonderes."

Dabei war Filmmusik Anfang der 80er-Jahre verpönt. Stummfilme waren etwas für Puristen; man verfolgte sie andächtig wie einen Gottesdienst - und in Grabesstille. Strobel schüttelt den Kopf. "Als hätte es diese Musik dazu nie gegeben!" Seine Dirigentenkarriere begann denn auch gleich mit Opernproduktionen - mit zarten 17; an einer Musikhochschule hat er nie studiert.

In den letzten Jahren erlebt die Filmmusik dagegen einen wahren Boom. Für seine vielen Filmmusikverpflichtungen hat er sich von Berlin aus, wo er heute lebt, ein ganzes Netz an Orchestern aufgebaut. Dazu gehören die Hamburger Symphoniker, aber auch Opernorchester. "Die machen alles mit! Die überspringen ganze Takte, das kennen die ja aus dem Graben."

Filmmusik muss auf den Sekundenbruchteil genau zu den Bildern passen, um zu wirken, denn der Film gibt ja keinen Deut nach. Wie wichtig aber an manchen Stellen Flexibilität ist, das glaubt man erst, wenn man Strobel bei der Arbeit erlebt hat. "Hier fangen wir das Tempo ein wenig ab", sagt er schon mal - als könnte der Film das mitvollziehen. "Das kann er natürlich nicht", sagt er und grinst. "Aber ob ich einfach nur mitgehe oder Druck ins Tempo bringe, das verändert den Film. Er verbindet sich anders mit der Musik."

Seine immense Erfahrung hat Strobel in die Rekonstruktion von "Metropolis" eingebracht. Weil der Film bei seiner Uraufführung 1927 durchgefallen war, wurde er um rund eine halbe Stunde gekürzt. Das herausgeschnittene Material ging verloren. Trotz zahlreicher Rekonstruktionsversuche gelang es nie, die logischen Sprünge und Lücken in der Handlung zu beseitigen.

Erst 2008 tauchte in Buenos Aires eine vergessene Kopie auf, für die zwar auch Szenen umgeschnitten worden waren, die aber kaum kürzer war als die Ursprungsfassung. Strobel gelang es, die Szenen den Synchronpunkten zuzuordnen, die Huppertz in die Partitur eingetragen hatte: Hinweise, zu welchem Bild was zu erklingen hat - exakt bis auf den kleinsten Notenwert.

Die Begeisterung des Cineasten hat sich Strobel aber bewahrt: "Wenn ich ins Kino gehe, denke ich nicht über solche Dinge nach. Dann genieße ich nur. Alles andere wäre ja entsetzlich!"