Die irische Folkband The Dubliners über Wut und Krise in ihrer Heimat. Ein Gespräch im Tourbus auf dem Weg von Hamburg nach Bremen.

Hamburg. Das muss doch schwerfallen: Zu Hause in Irland brennt die Hütte, und sie sollen hier in Deutschlands Konzerthallen für gute Laune sorgen.So deprimiert wirken die vier älteren Herren aber nicht, die gerade aus Dublin am Hamburger Flughafen angekommen sind. Sie sind sogar erstaunlich fröhlich. Die Stewardessen in der Aerlingus-Maschine hätten sie alle zum Abschied geküsst, erzählt John Sheahan grinsend. Sie hätten auch unbedingt ein Gruppenbild gewollt und alle ihre Adressen auf eine Papierserviette geschrieben. Die zeigt er stolz herum.

Die Dubliners sind nicht nur Musiklegenden, mehrheitlich ein halbes Jahrhundert im Irish-Folk-Geschäft. So leicht sind sie nicht zu erschüttern, auch von einer Krise nicht. "Crisis? What crisis?" witzeln sie beim Einladen, der alte "Supertramp"-Titel könnte glatt Irlands neue Grußformel werden. Sie sind vielfache Väter und Großväter und könnten ihren Enkeln ganze Abende lang von Krisen in ihrer Heimat erzählen. Beziehungsweise vorsingen.

+++ Bekannte Hits von "The Dubliners" +++

Im Tourbus ist es gemütlich warm, auf den Tischen stehen Mineralwasser, O-Saft und eine Dose mit Adventsplätzchen. Zusammengerechnet 270 Lebensjahre sehen uns an: John Sheahan, 71, Barney McKenna, 70, Eamonn Campbell, 63, und Al O'Donnell, 66, der für den erkrankten Patsy Watchorn einspringt (Sean Cannon stößt erst in Bremen dazu).

Barney, Dubliner seit 1962 und damit das einzige noch aktive Gründungsmitglied, behält seine legendäre Schiebermütze auf. John wirkt mit seinem akkurat gekämmten weißen Haar und im dunkelgrauen Anzug fast wie ein Elder Statesman. Und so ernsthaft beantwortet er auch die erste Frage: Wie ist die Stimmung zu Hause in Irland?

"Voller Wut und Frustration", sagt John. "Die Regierung hat sehr dumme Entscheidungen getroffen, um marode Banken zu retten, speziell die Anglo Irish Bank, mit der der Zusammenbruch des Systems anfing. Sie haben Milliarden Gelder da hineingepumpt. Jetzt strampeln sie sich mit einer Haushaltskürzung von sechs Milliarden Euro ab. Und sechs Milliarden klingt noch unerheblich gegenüber den hundert Milliarden, mit denen wir bald in der Kreide stehen."

Es geht um das Sparpaket, das Premierminister Brian Cowen dem Land verordnen will. Bei den sechs Milliarden, die der Nothaushalt allein im Jahr 2011 einsparen soll, wird es aber nicht bleiben. Ein Vierjahresplan sieht Kürzungen von 15 Milliarden Euro vor. Damit sollen die Bedingungen für den Rettungsschirm von EU und Internationalem Währungsfonds erfüllt werden, um den Staatsbankrott abzuwenden. In Irland ist damit das Ausmaß der Krise deutlich geworden, vor allem aber die Dauer der Durststrecke. John glaubt nicht, dass sich Premier Cowen noch lange halten wird. Al, der in seiner Lederjacke geradezu kämpferisch wirkt, bringt die Rede auf die Isländer, die 2009 mit Töpfen und Pfannen gegen ihre konservative Regierung demonstrierten und sie dann zum Teufel jagten, weil sie das Land in den Bankrott führte. Möglich, dass es in Irland auch so weit kommt: "Die Regierung hat uns nicht die Wahrheit gesagt", schimpft er.

Wir haben den Elbtunnel durchquert. Alle bewundern "the famous Hamburg docks", die jetzt rechts und links in Waltershof auftauchen. Beim Anblick von Schiffen geht wohl jedem Iren das Herz auf. "Unser Land", sagt Al versonnen, "ist tief mit der EU verwoben. Die Iren haben von der ganzen Idee einer europäischen Union immer viel gehalten, wir haben sie geradezu umarmt. Aber in der Krise zeigt sich, dass es eine riskante Sache für das gesamte EU-System ist, für die Fehler eines einzelnen Landes geradezustehen. Irgendwo muss die EU das Geld für ihre Rettungspakete auftreiben. Und das Einfachste ist jetzt, es sich von den irischen Steuerzahlern zu holen."

Was das bedeutet, mache den Iren Angst, sagen die Dubliners. Die Alten müssen Rentenkürzungen befürchten, die Studenten steigende Studiengebühren, die Angestellten im öffentlichen Sektor die Streichung ihres Jobs.

Eamonn in weißem Cowboyhemd sitzt in einem Extraraum ganz hinten im Bus, wo er rauchen darf und auf dem Sofa einen Krimi liest. Wo er aber sehr gerne Besuch empfängt, vor allem von Raucherinnen. "God bless Angela Merkel", ruft er zur Begrüßung, Gott segne sie. Warum? Weil Mrs. Merkel als einzige unter den EU-Regierungschefs fordert, Investoren an Rettungsaktionen zu beteiligen. Also auch die Gläubiger von Banken. Pikanterweise waren es gerade deutsche und französische Gläubiger, die Irlands Banken in guten Jahren mit viel zu billigem Geld versorgten.

Noch steht Angela Merkel mit ihrer Forderung allein da. In irischen Zeitungen wird ihre Idee positiv aufgegriffen. "Es ist ja auch nicht einzusehen, dass statt der Gläubiger die deutschen Steuerzahler für unsere Schulden mithaften müssen", meint Eamonn.

Was die Iren fürchten, ist ein Verlust ihrer Souveränität. Die Volksseele sträubt sich dagegen, von den EU-Geberländern so abhängig zu werden, wie man es vor der Unabhängigkeit 1945 vom British Empire war. Irland will auch nicht wieder zum "Armenhaus Europas" werden, das Millionen Menschen zur Auswanderung zwang. Zwischen 1848 - nach der großen Hungersnot infolge der Kartoffelfäule - und 1950 brachen 2,5 Millionen Iren nach Amerika auf, um zu überleben. Unzählige Lieder der Dubliners sind Auswandererlieder, so wie "Carrickfergus":

I would swim over the deepest ocean / Only for nights in Ballygrand / But the sea is wide and I cannot swim over / And neither have I the wings to fly / I wish I had a handsome boatsman / To ferry me over my love and I ...

Vorn im Wagen sagt Al: "Wenn du überleben willst, musst du bereit sein, in andere Länder zu gehen - jeder Ire weiß das." Mitte der 90er-Jahre änderte sich das: Irland begann der Welt zu zeigen, was ein "celtic tiger" ist. Die grüne Insel erlebte einen Wirtschaftsboom, die Arbeitslosenzahl fiel zwischen 1994 und 2001 von 18 auf vier Prozent.

Plötzlich gab es so viel Arbeit, dass Ausländer ins Land strömten - allein aus Polen 200 000, etliche Tausend auch aus dem Baltikum. "Wir hatten plötzlich polnische Radiosender und Zeitungen in Irland", sagt John. "Wir brauchten Leute für den Straßenbau, weil es viel mehr Verkehr gab, für die Fertigung, für das Transportwesen, für den Schiffbau. Und die Löhne stiegen."

"Jeder fand das großartig", sagt Al. "Wir bekamen Hochhäuser und Kolossalprojekte und Autobahnen. Man hat unsere Infrastruktur enorm ausgebaut und verbessert, das verdanken wir auch der Hilfe der EU und schätzen es. Aber es ging zu schnell. Und der 'Tiger' bestand hauptsächlich aus Bauen."

Viele Festlandeuropäer glauben, dass die Iren immer noch in pittoresken Steinhütten wohnen - allgemeines Kopfschütteln -, umgeben von Schafen - allgemeines Nicken. "Auf den Dörfern kannst du phänomenale Häuser mit riesigen Einfahrten und riesigen Toren sehen. Oft frage ich mich: Wie zum Teufel kann sich dieser Farmer das denn leisten?", sagt John. "Die Immobilienblase hat den Grundstücksmarkt angeheizt und die Landschaft verschandelt. Die Banken waren ja bereit, dir einen Hauskauf zu 100 Prozent zu finanzieren, du bekamst Kredite ohne Eigenkapital."

Gerade der "housing market" habe die Iren gierig gemacht, meint er. "Das trifft auf mich selbst auch zu. Als mein Sohn vor acht Jahren geheiratet hat, auf der Höhe des Booms, habe ich ihm ernsthaft geraten: Kauf zwei Häuser, dann kannst du eines vermieten und damit das andere finanzieren. Unsere Bankmanager haben gesagt: Kein Problem! Ihr könnt noch 20 000 Euro dazu haben und ein neues Auto kaufen!"

Vor 40 Jahren, als er selbst heiratete, war das anders. "Da hat sich der normale Geschäftsmann oder Handwerker abgearbeitet, um die Raten für das Haus der Familie abzuzahlen. Heute ist das für einen Alleinverdiener unmöglich. Die Frau muss mitarbeiten, die Kinder müssen woanders betreut werden."

Jetzt, wo die Immobilienblase geplatzt ist, stehen viele Neubauten leer. Und wieder wandern Tausende aus, allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres waren es 65 000 Menschen. Rund 100 000 Uni-Absolventen finden keinen Job. Das wird auch die Enkel der Dubliners betreffen. Die von John sind noch Teenager. Der älteste Enkel von Al, 19 Jahre alt, beginnt gerade mit dem Studium, Geschichte und Jura.

Der Bus hat inzwischen eine Tankstelle angefahren, weil die Herren zwei gekühlte Flaschen Weißwein wünschen. Vielleicht wegen der Gäste vom Abendblatt, vielleicht auch, weil sie deutschen Wein mögen. Barney bleibt natürlich beim proletarischen Bier. In Zeiten des British Empire war Irland "immer das grüne Indien", sagt er. "Jetzt haben wir gesehen: Wir können reich werden. Aber viele, die vorher unterdrückt waren, werden reaktionär. Sie vergessen ihre Erfahrungen. Die Iren haben ihren neuen Wohlstand gefeiert, und jetzt geht's eben wieder bergab."

Hat Irland mehr verloren als Milliarden Euro und gesicherte Staatsfinanzen? Ein kritischer Wirtschaftsjournalist hat behauptet, das Land habe für den neuen Wohlstand seine Kultur, seine Seele geopfert.

John und Al sind fast empört. "Wir haben eine sehr starke Kultur!" Irland, das waren immer temperamentvolle Sänger und Redner, Katholizismus, Liebe zur Landschaft, Kreativität in der Not. John sieht es pragmatisch: Die wahre Talfahrt steht noch bevor. "Egal welche hohen Zinsen wir akzeptieren müssen: Unsere Enkel und deren Kinder werden für die nächsten 20, 30 Jahre dafür zahlen müssen." Welche Folgen kann die Rezession für Künstler haben? Für die Dubliners? "Dieselben wie für die anderen Leute", sagt John. "Wir leben davon, für andere zu spielen. Vielleicht sollten wir einen Rettungsschirm für uns selbst aufklappen. Und einen speziellen, wenn wir in der EU spielen."

Barney hält inzwischen ein Nickerchen. Draußen ist es dunkel geworden, gerade wischt undeutlich die Ausfahrt nach Rotenburg/Wümme vorbei. Das Interview ist beendet. Ich bedanke mich bei John. "So", sagt er und zückt den Korkenzieher. "Dann können wir ja endlich den Wein aufmachen."