In der Jubiläumsfolge der Krimireihe ermittelt erstmals Ulrich Tukur. Allerdings stellte der Schauspieler Forderungen an seine Rolle.

Hamburg. Der Neue ist anders. Denn es wäre Verschwendung gewesen, Ulrich Tukur einen normalen Kommissar in einem normalen "Tatort" spielen zu lassen, was sich vor allem Tukur selbst dachte, als er bei den Verhandlungen mit der ARD die Forderungen an seine Rolle stellte.

Anders also. Am Abgrund des Lebens sollte sein Kommissar stehen. Eine Figur, die tief fallen kann, so wie Felix Murot, der neue Ermittler des Hessischen Rundfunks, der verletzlicher, greifbarer und an einigen Stellen gar intimer ist als viele seiner Vorgänger. Der Kommissar von seiner persönlichen Seite - das ist nichts Neues, doch durch Tukur wirkt es ausgereift, durchdacht. Murot muss mit keinem Kollegen nervige Eitelkeiten austauschen. Sein Problem ist realer: Zu Beginn entdecken Ärzte einen haselnussgroßen Tumor in seinem Gehirn. Am liebsten würden sie ihn gleich dabehalten, doch das kommt für den Kommissar gar nicht infrage.

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Wie den echten Tukur, der immer auf der Suche nach der neuen Herausforderung ist, treibt auch Murot etwas an, das die Sorge um seine Gesundheit verdrängt - ein Selbstmord am hessischen Edersee, Murots Heimat zu Kinderzeiten. Schnell ist Murot überzeugt, dass es sich gar nicht um Freitod handelt. Vor allem, da das Landeskriminalamt alles dafür tut, mögliche Beweismittel verschwinden zu lassen. Schließlich geht es hier um eine Verstrickung der RAF in den Fall und die strittige Rolle des damaligen Bundeskriminalamts. Die unverkennbaren Parallelen zu der im Oktober begonnenen Verhandlung gegen das ehemalige RAF-Mitglied Verena Becker um den Mordfall Siegfried Buback seien reiner Zufall, betonen die Macher dieses Tatorts.

Murot ist also auf sich allein gestellt, und das macht die Stärke dieses Krimis zum 40. Geburtstag der ARD-Reihe aus. So gönnt sich Drehbuchautor und Grimme-Preisträger Christian Jeltsch viele stille Szenen allein mit Tukur, Nahaufnahmen von seinem Gesicht. Man könnte meinen, der Schauspieler selbst haderte mit dem Tumor. Denn allmählich nimmt dieses Geschwulst mehr Einfluss auf das Geschehen. Murot sieht Dinge, die er eigentlich nicht sehen sollte, mal sind seine Sinne getrübt, mal sind sie schärfer als gewöhnlich.

Dazu kommen tinnitusartige Klänge, verschwommene Bilder - ein sagenhafter Einblick in Murots Kopf gelingt. "Ich wollte unbedingt diesen völlig surrealen Film", sagt Tukur. Regisseur Achim von Borries inszeniert eine faszinierende Parallelwelt mit allen Mitteln, ohne aufdringlich zu werden. Der tatsächliche Fall gerät dabei fast in den Hintergrund.

Zum Glück hat Murot eine bodenständige Assistentin. Eigentlich Sekretärin, hält Magda Wächter (Barbara Philipp) ihrem Chef stets den Rücken frei und ist gute Freundin des Einzelgängers, der jedoch später eine andere küsst: Martina Gedeck, in der Rolle der Jana Maitner. Jana erinnert ihn, auch durch seinen Tumor beflügelt, an seine alte Jugendliebe Lilly. Prompt nennt er seinen Tumor so, und der Filmtitel "Wie einst Lilly" ist geboren. Jeltsch ersann auch Martina Gedecks Rolle mit einer Tragik und Geheimniskrämerei, was am Schluss in einer überraschenden Wendung gipfelt, von denen dieser "Tatort" übrigens einige hat.

Dass Allrounder Ulrich Tukur in der auf ihn zugeschnittenen Rolle brilliert, war zu erwarten, Ähnliches gilt für Martina Gedeck und stört nicht weiter. Aber Barbara Philipp hübscht die melancholischen Farben dieses Films oft genug auf, bleibt dabei trotzdem ernst und hat ihre eigene Geschichte - auf jeden Fall die sympathischste Rolle in diesem komplizierten Spiel.

"Wir stecken alle in diesem großen Spiel", sagt Ulrich Tukur. Wer mit ihm über seinen Film spricht, dem erzählt er von der "Zerbrechlichkeit aller Dinge", dass Tod und Krankheit zu allem dazugehörten. Dass er das kenne, wie Kommissar Murot, tief zu fallen: Vor fünf Jahren steckte Tukur in einer Art Burn-out. Aber er sagt erfreulicherweise auch, dass er nächstes Jahr einen noch komischeren und groteskeren "Tatort" machen will.

Ulrich Tukur und der "Tatort", diese Geschichte begann nicht erst im Herbst 2009 am Edersee. Als Mörder ließ er sich einst von Andrea Sawatzki jagen und erhielt dafür 2004 den Deutschen Fernsehpreis. "Mörder sind interessanter", sagte er damals in seinen Interviews.

Nur gut, dass sich die ARD in ihrem Jubiläums-"Tatort" etwas getraut hat. Ein Krimi, der mehr zeigt, als nur im Auftrag eines Drehbuchs in der hessischen Einöde einen Fall zu lösen.

"Tatort - Wie einst Lilly": So 20.15 ARD