Bei den Hamburger Klangwerktagen wird Barmbek drei Tage lang zum Mekka für neue und neueste Musik

Kampnagel. Musik ist Stimmungssache. Dieser Satz gilt nicht nur für die Laune oder die Launen von Spielern und ihren Zuhörern. Er gilt auch dann, wenn damit das Tonsystem gemeint ist. Denn seit Bach gilt in der abendländischen Musik die temperierte Stimmung. Da ist jeder Halbton gleich weit von seinen beiden Nachbartönen entfernt. Das vereinfacht vieles und macht das Musizieren und Modulieren in den Dur- und Moll-Tonarten erst möglich; aber die temperierte Stimmung ist wider die Natur.

Wie sehr, das können Besucher der diesjährigen Hamburger Klangwerktage erleben. Das einzige lokale Festival für zeitgenössische Musik bietet ab morgen unter dem Motto "Naturtöne" Alternativen zur wohltemperierten Stimmung an.

Ein Grundgesetz der Musik entdeckte schon Pythagoras. Teilt man eine schwingende Saite auf halber Strecke, drittelt sie dann, viertelt, fünftelt sie und macht immer so weiter, dann ergibt sich eine Skala aus Ober- oder Partialtönen. Die Verhältnisse zwischen diesen Teiltönen sind unveränderlich, deshalb heißen sie auch Naturtöne. Setzt man sie als Intervalle zueinander in Beziehung, dann ergibt sich eine leichte Unschärfe: Die Septime der pythagoreischen Reihe klingt einen Tick tiefer als die der temperierten. Hört sich nach Physikstunde an. Aber Naturton-Musik klingt kein Stück nach grauer Theorie. Eben weil die Proportionen stimmen, klingt sie vertraut.

Gegenüber dem Vorjahr um einen Tag verkürzt, machen die mit extrem knappem Budget kalkulierten Klangwerktage bis Sonnabend aus Hamburg Klein-Donaueschingen. Neue und allerneueste Musik steht im Vordergrund, aber auch die Rückbesinnung der Jungen auf das Alte, Archaische, das in Naturtoninstrumenten wie dem Alphorn oder anderen auf der Obertonreihe basierenden Instrumenten vorherrscht.

John Adams ist schon der bekannteste Name unter den Komponisten, deren Werke hier erklingen. Andere Tonkünstler wie Matthias Spahlinger oder Wolfgang von Schweinitz genießen in der Szene einen hervorragenden Ruf, der übergroße Rest der Welt muss sie aber erst noch entdecken.

Saul Williams wiederum ist für viele Rapper ein Held. Sein Buch "Said the Shotgun to the Head" bildete die Kompositionsvorlage für Thomas Kessler, dessen Musik von den Hamburger Symphonikern unter der Leitung von Jonathan Stockhammer aufgeführt wird. Ein Chor Hamburger Rapper probt schon seit Tagen für den großen Auftritt zur Eröffnung der Klangwerktage an Williams' Seite.

Christiane Leiste, Kuratorin der ehrgeizigen Reihe, hat als Münchner Kindl eine frühe Naturton-Prägung durch Jodeln und Alphornmusik erhalten. Mit dem Schweizer Quartett hornroh verpflichtete sie ein Ensemble, das sich dem Motto ihrer Klangwerktage besonders verbunden fühlt. Die Musiker spielen nicht nur auf Instrumenten, die keine Grifflöcher haben und deren Tonhöhe nur durch Lippenspannung und Atemtechnik verändert werden kann. Sie setzen in ihrer Musik auch der Natur selbst Denkmäler. Eine Performance zeigt sie beim Alphornblasen neben einer Autobahn durch die Alpen, das Stück "Gletsc" - der fragmentarische Titel spielt auf abschmelzende Gletscher an - wirkt als Mahnwache für die geschundene Mutter Natur.

Hamburger Klangwerktage - Festival für zeitgenössische Musik: Do 25.11. 19.00 (Eröffnung; Festival bis 27.11.), Kampnagel (Bus 172/173), Jarrestr. 20, Tickets ab 12,- unter T.: 270 949 49, www.klangwerktage.de