Markus John spielt sich als “Götz von Berlichingen“ ins Zentrum der Schauspielhaus-Inszenierung

Hamburg. Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand taugt nicht mehr zum Freiheitshelden. In der Schauspielhausinszenierung von Dusan David Parizek trägt der Rittersmann Helmut-Kohl-Brille, trinkt Asbach Uralt, mampft Pralinen, schmaucht Zigarre.

Dominant verkörpert Markus John den cholerischen Biedermann und Politiker-Patriarchen, der Konflikte aussitzt und an Kapitulation denkt. Er gibt dem ausgedienten Kriegs- und Politveteranen eine saftige Komik und auch selbstironische Tragik: "Stirb Götz, du hast dich selbst überlebt."

Das kann man getrost auch von Goethes Jugendwerk sagen. Nicht umsonst hat sich das Sturm- und Drang-Drama nur als romantisches Ritterspektakel für Touristen im Burghof von Jagsthausen gehalten. Parizeks Zugriff auf das um alle Bauern- oder Schenken-Szenen bereinigte Schauspiel funktioniert jedoch nur teilweise, was das Premieren-Publikum auch durch enden wollenden Beifall bekundete.

Mit dem Beatles-Song "When I'm Sixty Four" markiert der Regisseur die Verlagerung des Stücks in die Jahre der deutschen Studentenrevolte. Im Umbruch von der Ritter- zur Neuzeit beleuchtet er deutsche Zeitgeschichte.

Vor der furnierten Holzwand sitzen die Vertreter der gegensätzlichen Systeme: Rechts vom Publikum aus gesehen, herrscht Götz und verteidigt seine alten Prinzipien, links hockt die neue Generation: die friedensbewegte Götz-Schwester Maria (wieder einmal schnippische Göre: Julia Nachtmann) und der langhaarige alternative Wendehals Adelbert von Weislingen. Lukas Holzhausen vertritt in Jeans und Turnschuhen den opportunistischen Karrieristen und windigen Schürzenjäger, der Ute Hannigs eiskalter Intrigantin Adelheid von Walldorf verfällt. Zwischen den gegnerischen "Blöcken" hält Michael Prelle mit süffisanter Rhetorik die Position von Klerus- und Kaisermacht.

Die Schauspieler - allen voran das Ehepaar Berlichingen Markus John und Hedi Kriegeskotte - schlagen sich tapfer. Die strenge Gattin ist der eigentliche Herr in Jagsthausen. Ein Burgdrachen im Dirndl, rationiert sie den Schnaps und speit eine komisch ordinäre Schimpfkanonade mit dem berühmten Götz-Zitat gegen die Belagerer.

Die Schlachtszenen im Originaltext lässt Parizek von Götz erzählend nachspielen, was John Gelegenheit zu einem Paradesolo mit Streitaxt gibt. Für die Anekdote über die "Ritter Christoph und Reinhard im Sumpf" erhält er zustimmenden Szenenbeifall.

Nicht die einzige Anspielung des Regisseurs auf die Lokal- und Kulturpolitik, gegen die sich - wie in den 60er-Jahren - der Bürgerprotest formierte. Fällt die von Parizek in seinen drei vorigen Klassiker-Inszenierungen verwendete, doch immer abgewandelte Holzvertäfelung zu Boden, gibt sie ein Modell des Schauspielhauses frei: die von Haudegen des Hamburger Sparprogramms belagerte "Burg".

Komik und Satire kommen erst im zweiten Teil des pausenlosen Zweistunden-Abends richtig zum Zug. Ähnlich wie schon der Flop mit Heinrich von Kleists "Robert Guiskard" taugt auch der Goethe-Erstling nicht wirklich für die moderne Bühne. Trotz Parizeks beherzter szenischer Verdichtung, den klar gezeichneten Charakteren und vereinzelter Regiegags zieht sich die Inszenierung zu Beginn als Debattierstück hin, schärft sich auch nur halbherzig zur Kritik an deutscher Zeitgeschichte.

So wird das Goethe-Drama zum schwachen Schlusslicht in Parizeks stärkerer Klassiker-Reihe mit den Werken von Büchner, Kleist und Schiller.

Götz von Berlichingen 22., 27.11., 20.00, Schauspielhaus, Karten T. 248 713; www.schauspielhaus.de