Der Anblick ist frei von Romantik: grau schäumendes Wasser, ranzige Lagerschuppen, Großbaustelle HafenCity. Und doch singt mein Herz jedes Mal, wenn der Zug über die Elbbrücken rattert und mich nach Hause bringt. In die Stadt, in der ich eigentlich leben wollte, seit ich sie mit elf das erste Mal sah. Beinahe wäre es beim "eigentlich" geblieben.

Mit 18 teilte mir das Schicksalsroulette erst einen Job in Augsburg, dann in München zu. Und da der Mensch sehr talentiert ist, sich auch den Alltag zweiter Wahl so herzurichten, dass er sich für doch ganz zufrieden halten kann, wandelte sich der kindliche Hamburg-Vorsatz in eine dieser Sehnsüchte, die mit dem Wort "eigentlich" beginnt - und mit einem "aber" getötet wird. "Eigentlich wollte ich nach Hamburg. Aber hier habe ich einen Arbeitsplatz, eine Wohnung im guten Viertel, und mit dem Peter könnte es was werden ..."

Ja, wie vernünftig! Es gibt tausend gute Gründe, jedes "eigentlich wollte ich ja ..." kleinzureden. Wenn es nur nicht so brennen würde! Heimlich frisst das "eigentlich" ein Loch in die Seele, erst ein Piks, dann, je mehr uneigentliches Leben vergeht, wird es zur schwärenden Wunde. Nichts kann sie schließen, kein Geld, kein Partner, keine Rechtfertigung, dass man nicht alles haben kann. Mag sein, alles nicht. Aber vielleicht mehr vom "Eigentlichen"?

Immer auf den Elbbrücken muss ich daran denken, dass ich mit 22 genug jähzornige Kraft hatte, die Umarmung des Uneigentlichen zu sprengen, um mittel- und bindungslos nach Hamburg zu gehen. Mein Herz singt, denn hier gehört es hin; und dann weint es auch ein bisschen, weil es noch lang nicht zu Ende ist mit all seinen Träumen, und so hungrig nach dem alten, jungen Mut.

"Ich bin zu Ende mit allen Träumen" Liederabend zum Todestag von Franz Schubert Fr 19.11., 20.00, Laeiszhalle/Studio E, Johannes-Brahms-Platz (U Gänsemarkt). Veranstalter: Hochschule für Musik und Theater, Eintritt: frei; www.elbphilharmonie.de