Regisseur Dusan David Parizek will Goethes “Götz von Berlichingen“ so zeigen, wie man ihn noch nicht kennt

Schauspielhaus. Manche Stücke finden selten auf die Bühne, andere wie Shakespeares "Romeo und Julia" oder sein "Sommernachtstraum" sind dagegen Dauergäste. Sichere Kassenknüller interessieren Regisseur Dusan David Parizek nicht. "Dafür ist meine Lebenszeit zu schade", sagt er. Den tschechischen Regisseur treiben große politische Debatten um. Seit Jahren blickt er kritisch sezierend auf die mitteleuropäische und die deutsche Geschichte.

Mit Goethes "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand", das an diesem Donnerstag im Schauspielhaus Premiere hat, nimmt sich Parizek ein schwierig gebautes, selten aufgeführtes Drama des Sturm und Drang vor. "Immer wenn Goethe nicht weiterwusste, hat er einen neuen Handlungsschauplatz, eine neue Figur und neue Episoden eingeführt", so Parizek. "Da muss man deutlich Hand anlegen." Die Tatsache, dass es ideologisch von den Nazis ausgebeutet wurde, belastet das Stück zusätzlich. Das berühmte Zitat, in dem Götz den kaiserlichen Hauptmann auffordert, ihn am "Arsch" zu lecken, kennt allerdings jeder. Parizek hat eine Art Hybrid aus vorhandenen Textfassungen erstellt und nutzt es nun nach seinem Klassikerreigen "Hermannsschlacht", "Kabale und Liebe" und "Dantons Tod" als Folie, um die jüngere Historie Nachkriegsdeutschlands zu beleuchten.

Das Schauspiel aus dem Jahre 1773 erzählt die Legende des kriegsversehrten, schwäbischen Reichsritters Götz von Berlichingen, der mit dem Bischof von Bamberg im Streit liegt. In Adelbert von Weislingen, einem wankelmütigen Jugendfreund im Dienst des Bischofs, findet er einen hartnäckigen Gegenspieler. Götz landet im Gefängnis und wird von dem folgsamen Franz von Sickingen befreit. Kurze Zeit später schließen sich ihm aufständische Bauern an. In Parizeks Inszenierung ist Götz ein Zerrissener, der an einem überkommenen Wertemodell festhält. "Er erinnert uns nur noch an den Mythos eines Ritters. Er spricht von Frieden und sucht doch nur den Konflikt", so Parizek. "Er schwafelt von Freiheit, meint aber nur seine eigene."

Bei Darsteller Markus John erinnert der Ritter in seiner Bärbeißigkeit eher an Politiker des Wirtschaftswunders wie Adenauer oder Strauss. Allerdings ist er kein stolzer Held, sondern ein "schwerst behinderter Alkoholkranker, der in die Kriminalität abrutscht". Gegenspieler Weislingen ist ein Opportunist, einer, der die Mechanismen der Politik bestens durchschaut und sich als echte Alternative aufbauen will. Lukas Holzhausen will aus ihm einen modernen Turnschuhpolitiker entwickeln. Weislingen spricht von Freiheit, agiert dabei äußerst brutal.

Beide Systeme dürften dem Zuschauer inakzeptabel erscheinen. "Es gibt nicht länger die eine Wahrheit, kein Modell, das uns mit einem Arsenal an allgemeingültigen Lösungen versieht", sagt Parizek. Das Dramenpersonal reduziert der Regisseur auf neun zentrale Figuren mit Götz, seiner Frau Elisabeth, Franz von Sickingen und Götzens pazifistischer Schwester Maria auf der einen sowie Weislingen, seiner machtbesessenen Gattin Adelheid und dem Bischof von Bamberg auf der anderen Seite. Sie symbolisieren zwei unterschiedliche Wertelandschaften. Das Personal diskutiert sich die Köpfe heiß. Der Aufstand der Bauern, die sich mit dem festgesetzten Götz solidarisieren, führt zur blutigen Eskalation.

Parizek sieht den "Götz" als abschließendes Satyrspiel zu seinem Triptychon mit klassischen, historische Zusammenhänge spiegelnden Stoffen. In Kleists "Hermannsschlacht" hat er in einer kargen Szenerie hergeleitet, wie ein müde gewordener Krieger aufgrund eines persönlichen Anliegens, die Welt neu erfinden will, zum Fundamentalisten wird und einen Krieg um jeden Preis anzettelt. Aus Schillers "Kabale und Liebe" hat er anhand eines Generationendramas vorgeführt, wie die Politik in die intimsten zwischenmenschlichen Bereiche des Menschen vordringt. Zuletzt hatte er in seiner wiederum skelettierten Variante des von der Kritik kontrovers aufgenommenen Büchner-Dramas "Dantons Tod", über die Möglichkeit eines Umsturzes nachgedacht.

Dieser findet nun statt. "Wir liefern einen Kommentar zu einer politischen Haltung. Es geht nicht mehr so sehr um Goethes freiheitliche Ideale." Dusan David Parizek entdeckt Parallelen zur gegenwärtigen Lust des Bürgertums am Aufruhr, sobald es seine Ideale, wie in den Konflikten um Stuttgart 21 oder die Atompolitik, einem puren Wirtschaftslobbyismus geopfert sieht. Auch Parizeks Inszenierung könnte für einigen Diskussionsstoff sorgen.

Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand: Premiere, Do 18.11., 20.00, Schauspielhaus (U/S Hbf.), Kirchenallee 39, Karten 14,50 bis 62,50, T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de