US-Geigerin Hilary Hahn und das New Zealand Symphony Orchestra mit Sibelius und Tschaikowsky in der Laeiszhalle

Laeiszhalle. Da steht ein Mädchen mit Locken und Puffärmelkleid auf der Bühne und spielt auf seiner Geige die schwersten Brocken des Repertoires - und kein Haar gerät ihm in Unordnung, geschweige denn ein Finger.

Es ist auf den zweiten Blick dann doch keine Zwölfjährige, die da geigt, sondern eine arrivierte Künstlerin. Die Amerikanerin Hilary Hahn gehört mit ihren 30 Jahren zu den Gründungsmitgliedern jener Generation von Geigerinnen, die die Welt mit ihrem Spiel und ihrem modelgleichen Aussehen in Erstaunen versetzt haben. Seit bald 20 Jahren tritt sie in den größten Konzerthäusern der Welt auf; vom Grammy bis zum Echo Klassik hat sie abgeräumt, was es so an Auszeichnungen in der Branche zu gewinnen gibt.

Doch während manche ihrer Kolleginnen, allen voran die Holländerin Janine Jansen, durch die Intensität der Interpretation ihre an sich schon verblüffende spieltechnische Perfektion schlicht vergessen lassen, schwingt oft ein leises "Aber" mit, wenn das Gespräch auf Hilary Hahn kommt: Brillanter Ton - aber etwas zu gleich; kann alles spielen - aber für die letzten Gestaltungsnuancen fehlt es ihr an Bogenraffinesse; schürft im Ausdruck nicht tief genug - und so fort. Kurz, den Ruch eines digitalen Produkts hat Hahn zumindest hierzulande noch nicht restlos abstreifen können.

In Hamburg hat sie dazu heute mal wieder Gelegenheit. Da gibt sie in der Laeiszhalle das Violinkonzert von Jean Sibelius, begleitet vom New Zealand Symphony Orchestra, die Leitung hat Pietari Inkinen. Der ist mit Jahrgang 1980 sogar noch etwas jünger als Hahn - und ein vielversprechender Nachwuchs. Ist er doch Schüler des großen Dirigentenlehrers Jorma Panula, der schon manchen späteren Weltstar im Stabschwingen unterwies, etwa Esa-Pekka Salonen und Jukka-Pekka Saraste. Ob es ein Zufall ist, dass mit Inkinen ein Finne am Pult steht, Finne wie Sibelius selbst? Kein Komponist hat die Tonsprache seines Volks so entscheidend geprägt und in die Welt hinausgetragen wie er; den Ruf des finnischen Nationalkomponisten hat er sich redlich erworben mit seinen dunklen Klangfarben, seinen tönenden Landschaftsmalereien und der fast allgegenwärtigen Melancholie.

Das Violinkonzert beschränkt sich freilich nicht auf das finnische Idiom - es ist ein rechtes, universell verständliches Fest an Esprit und Virtuosität. Bei der Uraufführung fiel das Werk allerdings zunächst durch, was auch daran liegen mag, dass der Solist die zahlreichen Fußangeln mangelhaft beherrschte. Erst in einer revidierten Fassung konnte es seinen triumphalen Einzug in die Konzertsäle halten.

Den zweiten, nicht minder gewaltigen Teil des Abends bestreiten die Musiker mit Peter Tschaikowskys berühmter Fünfter Sinfonie e-Moll. Während der Hörer beim Violinkonzert frei ist, seine eigenen Bilder im Kopf zu entwickeln, handelt es sich bei der Sinfonie um regelrechte Programmmusik, also um ein Werk mit einer außermusikalischen Aussage.

Sie legt Zeugnis ab von Tschaikowskys Selbstzweifeln: "Ausgeschrieben" sei er, bangte er 1888 in einem Brief an seine Förderin Nadeshda von Meck. Das Leitthema bildet das sogenannte Schicksalsmotiv, und über das Allegro des ersten Satzes schrieb der Komponist die Worte "Murren, Zweifel, Klagen, Vorwürfe" - um das Werk dann doch innerhalb nur weniger Wochen zu vollenden.

Eine junge Amerikanerin, ein Orchester vom anderen Ende der Welt, ein schwergewichtiges Programm aus dem alten Europa - wenn das nicht genug Stoff für eine interessante musikalische Begegnung ist.

Hilary Hahn, New Zealand Symphony Orchestra, Leitung: Pietari Inkinen heute, 19.30, Laeiszhalle (U Gänsemarkt) Johannes-Brahms-Platz, Großer Saal. Karten zu 20,- bis 80,- unter T. 35 44 14; www.hilaryhahn.com