Erfolgreich: “Das Interview“ an den Kammerspielen ist ein Psychothriller aus dem Medienmilieu

Hamburg. Zwei abgebrühte Medienmacher stehen sich gegenüber. Schauspielerin Katja produziert erfolgreich falsche Gefühle in trivialen Filmen und Serien. Redakteur Pierre zählt sich zur Elite der politischen Journalisten, die investigativ und kritisch aufklären. Weil die Kollegen von der Kultur ausfallen, wird er verdonnert "Das Interview" mit dem "Filmsternchen" zu führen. Eine Zumutung für den Zyniker. Henning Bock inszenierte an den Kammerspielen das zunehmend in einen Psychothriller ausartende Wortgefecht nach Theo van Goghs Film.

Werner Wölbern brilliert im Hamburger Heimspiel als Pierre, dem Sonia Hausséguy bei ihrem Debüt jedoch gerissen und tapfer Paroli zu bieten versucht. Der attraktiven Katja gelingt es, den Kerl zu knacken. Sie erwischt ihn mit der Vater-Tochter-Masche. Der unverschämt beleidigende Schreiber gibt sich nach kräftiger Rotwein-Infusion plötzlich Blößen und will der jungen Frau an die Wäsche. Wölbern zeigt: Pierre ist durch seine Kriegserfahrungen kein besserer Mensch geworden. Enttäuschungen und Erlebnisse von Gräueln und Tod haben ihm nicht nur körperliche, sondern auch seelische Narben hinterlassen. Tief verletzt, ist er verroht. Auf dieselbe Stufe mit Berufsmördern gesunken.

Hausséguys Katja entspricht nicht dem Klischee des Busenstars. Sie gibt das attraktive, neurotische, koksschnupfende Biest, das nicht verwindet, als Schauspielerin in drittklassigen Filmen Karriere gemacht zu haben. Zwar will man ihr den populären Star nicht so recht abnehmen, doch zwischen den eigenen vier Wänden kann ihre Katja gut auf derartiges Getue verzichten. Schon in der ersten Minute fühlt sie sich gedemütigt, nimmt alarmiert den Kampf auf. Und Hausséguy erweist sich als Gegenspielerin ihrem Partner stellenweise durchaus gewachsen, spielt raffiniert Komödie zwischen Lolita und Luder: Sie jongliert und provoziert unberechenbar, doch gezielt mit falschen Gefühlen und plötzlichen Launen, mit sexueller Abweisung oder Anmache. Das Paar - zwei von ihren Berufen total Deformierte - fühlt sich gleichermaßen voneinander abgestoßen wie angezogen, treibt sich gegenseitig in die Enge - und in die Ecken der schicken Dachterrasse. Wie Boxer, in die Ringseile zurückgeworfen, belauern sie sich, versuchen sich aus der Reserve zu locken, holen zum Frontalangriff aus und gehen wieder in Deckung.

Regisseur Henning Bock macht Martin Fischers urbane Ruheoase zur Arena für den gnadenlosen "Interview"-Fight. Er platziert die Pausen zum Atemholen und hält die Spannung zwischen Abstand und Nähe der Gegner bei ihren überraschenden Finten im treffsicheren Dialog. Auch wenn Pierre gegen Katja einen Knockout wegstecken muss, so geht Werner Wölbern darstellerisch dennoch als überlegener Sieger aus diesem Schaukampf hervor, der satirisch mit den skrupellosen Manipulations- und Marktstrategien gewisser Medienproduzenten abrechnet.

Das Interview: bis 28.11., Kammerspiele, Karten T. 0800-41 33 440; www.hamburger-kammerspiele.de