Die Kulturpolitik-Misere, die sich momentan in Hamburg abspielt, wird anscheinend noch übertroffen - und zwar von der Misere in Sachsen.

Hamburg. Ein Auto, das nicht fährt, ist nur die Hälfte wert. Aber ein Leipziger Kulturdezernent, dem von einem wütenden Oberbürgermeister zentrale Zuständigkeiten entzogen werden? Diese Frage stellen sich seit Montagabend viele in der sächsischen Kulturstadt. Denn seit einem Telefonat mit Burkhard Jung (SPD) darf sich der parteilose Michael Faber nur noch um Nebensächliches wie den Zoo, das Marktamt und die Friedhofsverwaltung kümmern. Das Gewandhaus und die Oper, das wegen der Intendanz von Sebastian Hartmann heftig umstrittene Centraltheater, das Theater der Jungen Welt und die Musikschule "Johann Sebastian Bach" sind nun Chefsachen.

"Leipzigs Kultur ist identitätsstiftend für die Stadt, ihr hohes Niveau ist weltweit anerkannt", ließ Jung verkünden, "es ist Aufgabe der Stadt, alles dafür zu tun, diesen Schatz zu erhalten und an kommende Generationen weiterzugeben." Nach diesem Diktat verreiste der OB demonstrativ, Richtung New York, zu einer Ehrung der Leipziger Dirigenten-Ikone Kurt Masur.

Die jetzt vollzogene Amtsenthebung auf Raten ist der vorerst letzte Eskalationsschritt, der Parallelen zur aktuellen Misere der Hamburger Kulturpolitik aufweist: Hier wie dort wurden Menschen mit einem Amt betraut, deren Berufung überraschend war und wenig vielversprechend schien.

Hier traf es den früh pensionierten Ex-Kultur-Staatsrat Reinhard Stuth, der es in Rekordzeit schaffte, jeglichen Vertrauensvorschuss durch abstruse Sparideen zu pulverisieren und sich gern als fehlerhaft interpretiert hinstellt. Dort einen hauptberuflichen Verlegersohn, der zwar als nicht unsympathischer Schöngeist gilt, aber auch als völlig unerfahren auf dem Schachbrett der Politik. Torsten Reitler, Sprecher freier Kulturschaffender, beschrieb das Dilemma so: "Die Anzahl der Fettnäpfchen, die ihm in den Weg gestellt wurden, ist ebenso groß wie die Beharrlichkeit, mit der er hineintappte." So grübelte Faber an den Aufgaben des örtlichen Heiligtums Thomanerchor herum und bezeichnete den 9. Oktober 1989, das Datum einer historischen Leipziger Massendemonstration, als einen von vielen Tagen in der Stadtgeschichte. Einer von Fabers Lieblingssätzen: "Da bin ich missverstanden worden." Was einem aus Hamburg bekannt vorkommt. Ins Amt geholt - mit Proporz-Rückenwind der Linken und gegen viel Protest der Kulturszene - hat Faber der gleiche OB, der ihn nun so rigoros kaltstellte.

Wie konnte es so weit kommen mit der Leipziger Kulturpersonalie? Größter Auslöser war die vom Land Sachsen geplante Änderung des Kulturraumgesetzes, das für Leipzigs 107-Millionen-Euro-Kulturetat ab Januar 2011 eine Einsparung von 2,5 Millionen Euro bei den städtischen Eigenbetrieben Centraltheater, Oper und Gewandhaus bedeutet hätte.

Zur Abwendung dieser überfallartigen Rotstift-Attacke wurde ein verfassungsrechtliches Gutachten erstellt, das die Idee als rechtswidrig einstufte; die Kosten dafür, 10 000 Euro, teilten sich übrigens die Bedrohten. Als das Gutachten Ende Oktober von Jung vorgestellt wurde (inzwischen ist die Spardrohung auf eine Million Euro abgemildert worden), fehlte Faber allerdings. Kurzurlaub. Auch das ist eine Parallele zu seinem Hamburger Kollegen und dessen Herbstferien kurz nach Amts-Wiedereintritt. Fabers spätere Kritik an Jungs Vorgehen brachte das Fass wohl endgültig zum Überlaufen.

Ebenfalls hier wie dort haben Spekulationen über eine Museumsschließung wütende Proteste und Solidaritätsbekundungen provoziert: Die Rolle des Altonaer Museums übernimmt in Leipzig das Naturkundemuseum. Im Oktober stiegen die Besucherzahlen von 3000 auf 5000, 11 000 Leipziger unterschrieben eine Petition zum Erhalt.

Das Haus ist ähnlich alt, aber ungleich gestriger, man kann dort unter anderem kurios angerichtetes Tiefsee-Getier bestaunen. Aber es ist eben auch einzigartiger Teil der großen kulturellen Tradition, auf die man so schnell nichts kommen lassen will in einer Stadt, die beachtliche neun Prozent ihres Etats für Kultur ausgibt - in Hamburg beträgt der Anteil etwa zwei Prozent. Faber liebäugelte mit einer Schließung, um knapp eine Million Euro Betriebskosten zu sparen. Dann kam er auf die Idee, das Museum in eine ehemalige Bowlingbahn umzutopfen und es ab 2014 zukunftstauglicher machen zu wollen. Der einzige Konservator vom Fach wurde dennoch schon mal entlassen. In einer gemeinsamen Erklärung haben die Leiter der städtischen Kulturbetriebe gestern in völliger Übereinstimmung mit dem Oberbürgermeister die symbolische Köpfung des Kulturdezernenten gutgeheißen und sich als "verlässliche Partner" im Kampf gegen die Folgen des Kulturraumgesetzes angeboten. Faber verlangte ein klärendes Gespräch mit seinem Chef und praktiziert seitdem Funkstille.