Im Neuen Museum werden wiedergefundene Skulpturen gezeigt, die einst als “entartete Kunst“ verfemt wurden

Berlin. Die Buchhaltung war gründlich. Im Juli 1937 - Hitler hatte gerade angeordnet, Deutschlands Museen von der "Verfallskunst" zu säubern - notierten die Abgesandten der Reichskammer der Bildenden Künste, was sie in der Hamburger Kunsthalle beschlagnahmt hatten: 72 Gemälde, 296 Aquarelle, Pastelle und Handzeichnungen, 926 Radierungen, Holzschnitte und Lithografien, acht Skulpturen.

Nebenan, im Museum für Kunst und Gewerbe, ließen sie 270 Werke einpacken. Unter anderem einen schwarz lasierten Terrakotta-"Kopf" von Otto Freundlich. An dem glaubten sie die Merkmale der "seelischen Verwesung" eines "geisteskranken Nichtskönners" zu erkennen, die der "Führer" gemeint hatte. Fortan diente Freundlichs Skulptur der Abschreckung. Zunächst in der großen Wanderausstellung "Entartete Kunst", und später in dem Ufa-Film "Venus vor Gericht", wo sie als Ausstattungsstück für die Illustration eines vermeintlich jüdischen Kunstgeschmacks herhalten musste.

Danach war Freundlichs "Kopf" weg. Im Bestfall hielt man ihn für verschollen, Pessimisten glaubten ihn durch die Nazis vernichtet.

Jetzt ist er wieder da. Archäologen, die in Vorbereitung auf den Weiterbau der U-Bahnlinie U 5 vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor in Berlins Mitte eigentlich nach den Fundamenten des alten Rathauses graben wollten, machten an der ehemaligen Königstraße im Januar einen Zufallsfund, den der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, wenig später als "spektakulär" bezeichnete. Neben Freundlichs "Kopf" wurden im Laufe der Monate nämlich noch zehn weitere Skulpturen zutage gefördert, die 1937/38 der Ausstellung "Entartete Kunst" zugeschlagen worden waren. Werke aus Berlin, Breslau, München, Stuttgart und Karlsruhe.

Wie sie in den Keller der Königstraße 50 kamen, in dem die Archäologen sie nun fanden, darüber gibt es bislang nur Vermutungen. Sie konzentrieren sich auf Erhard Oewerdieck, der damals dort zur Miete wohnte. Oewerdieck und seine Frau Charlotte haben in ihrer Wohnung in den 40er-Jahren Juden Unterschlupf gewährt und werden dafür in Yad Vashem als "Gerechte unter den Völkern" geehrt. Es wird nicht ausgeschlossen, dass er sich als Wirtschaftstreuhänder, der er war, auch für NS-Verfolgte betätigte.

Das Haus ist im Spätsommer 1944 abgebrannt. Der durch einen Bombenangriff ausgelöste Brand fraß sich von oben nach unten durch das Haus und zerstörte alles, was nicht feuerfest war. Die Skulpturen lagerten damals nicht auf der Kellersohle, sondern sie sind erst beim Zusammenbruch der Decken von einem höheren Aufbewahrungsort aus in den Keller gestürzt. Sie befanden sich in einer von Brandasche und einigen nicht verbrannten Bestandteilen geprägten Fundschicht. Das lässt den Schluss zu, dass zu dem gelagerten Bestand noch mehr Kunstwerke gehört haben könnten. Gemälde, Grafiken und Holzskulpturen wären, falls sie dort gelagert waren, wohl vollständig verbrannt. Wie die Stücke, deren Spuren sich bislang im Reichspropagandaministerium zu verlieren schienen, in die Königstraße 50 kamen, ist allerdings ein ungelöstes Rätsel.

Die elf Skulpturen stehen nun im sogenannten Griechischen Hof des Neuen Museums zu Berlin. Gereinigt, aber bewusst nicht weiter restauriert - umgeben von einem antiken Steinfries, der den Ausbruch des Vesuvs thematisiert - sehen sie aus wie das, was sie sind: Überlebende einer einzigartigen Katastrophe. Wohl selten haben Werke der klassischen Moderne ein so kongeniales Umfeld gefunden. Für Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sind sie dort "Zeugnisse des Wahnsinns der Nazis".

"Der Berliner Bombenfund. 'Entartete Kunst' im Bombenschutt" haben die Macher ihre Ausstellung genannt, die sie in Rekordzeit organisiert haben, wenn man bedenkt, dass die letzte Skulptur erst am 25. Oktober bei einer Nachgrabung gefunden wurde.

Das Interesse an der Schau ist jetzt schon enorm. Sichtlich berührt stehen die Ausstellungsbesucher vor Otto Freundlichs "Kopf", Karl Knappes "Hagar", Otto Baums "Stehendem Mädchen", Marg Molls "Tänzerin", Emy Roeders "Schwangerer", Edwin Scharffs "Bildnis der Anni Mewes", Naum Slutzkys "Weiblicher Büste", Gustav Heinrich Wolffs "Stehender Gewandfigur" und den drei namenlosen Werken, die bislang nicht zugeordnet werden konnten. Wütend lesen sie, was Hitler einst dekretierte: "Es ist nicht die Aufgabe der Kunst, im Unrat um des Unrats zu wühlen, den Menschen nur im Zustand der Verwesung zu malen, Kretins als Symbol der Mutterwerdung zu zeichnen und krumme Idioten als Repräsentanten der männlichen Kraft hinzustellen." Betroffen lesen sie, dass Otto Freundlich 1943 im Konzentrationslager Maidanek ermordet wurde.

Neues Museum Berlin Bodestraße 1-3, So-Mi von 10 bis 18 Uhr, Do-Sa von 10 bis 20 Uhr