“Enttabuisierung des Stinkefingers“ und zerschmetterte Gitarren: Die Hamburger Band Herrenmagazin gab im Hafenklang alles.

Hamburg. Kein Sänger einer deutschsprachigen Band wird bei einem ausverkauften Konzert vor versammelter Mannschaft gerne zugeben, dass seine Mama heute da ist und er sich deswegen erstens benehmen muss und zweitens ziemlich aufgeregt ist. Deniz Jaspersen von Herrenmagazin schert sich nicht um diese vermeintlichen Regeln der Coolness, als er im rappelvollen Hafenklang am Sonntag mit seiner Band die Songs des starken zweiten Albums "Das wird alles einmal Dir gehören" abfeuert. Warum auch, das Publikum schätzt die Hamburger Band gerade dafür, dass scheinbar keine Grenze zwischen Bühne und Publikum besteht, dass sie bei allem Talent absolut unprätentiös bleibt.

Während der Show beschwert sich König Wilhelmsburg sympathisch über ein Eisenrohr, das ihm kalte Luft in den Nacken bläst, während Deniz Jaspersen als Reaktion auf Fans mit "nett gemeinten" Mittelfinger-Schildern die "Enttabuisierung des Stinkefingers" fordert. Prompt macht er selbst reichlich Gebrauch davon - so viel zum guten Benehmen. Derweil trägt Bassist Paul Konopacka mit Danksagungen verzierte Unterhosen auf dem Kopf, die ihm zwei weibliche Fans entgegengeworfen haben. Und Drummer Rasmus Engler wird nicht müde zu betonen, dass Paul eh ein ganz Verdorbener sei - natürlich während er auf seine Drums eindrischt.

Und dann die Musik: Stärker als bei den meisten leidlichen Vergleichsbands wie Tomte und Kettcar hört man Herrenmagazin eine unbedingte Leidenschaft am Zelebrieren von Musik an, ja als seien sie selbst Fans - von englischer Popmusik und Postpunk, von Gitarrenexzessen und Melodien. So baut sich das starke "Früher war ich meistens traurig, heute bin ich nur noch sauer" live bis zu einem Gitarrenfrontalangriff auf, zu dem Deniz Jaspersen seine sonst sanfte Stimme gegen ein rastloses Schreien eintauscht. Das Publikum dankt es mit Respekt, singt Songs wie "Erinnern", "1000 Städte", "Alle sind so" und "Gold für Eisen" fehlerlos mit und verliert sich in Erinnerungen, die an die Songs von Herrenmagazin geknüpft sind: ein Rausch, eine Beziehung, eine schwere Zeit im Leben.

Das alte Zugaben-Spiel nach einem Dutzend Songs umgeht die Band, sie spielen einfach so lange weiter, bis König Wilhelmsburg beim lauten Finale mit "Kein bisschen aufgeregt" seine Gitarre gegen die Wand wirft. Es dauert keine zwei Minuten, da tummelt sich die Band auch schon im Publikum: mit Bier und Freunden. Und Mama.