Ian McEwan erzählt in seinem neuen Roman “Solar“ ironisch und lustig vom moralischen und fachlichen Absturz eines Physik-Nobelpreisträgers

Das Timing des neuen Romans von Ian McEwan könnte passender gar nicht sein. Erst kürzlich sind sie wieder vergeben worden, die Nobelpreise, jene hoch dotierten und ebenso renommierten Auszeichnungen für besonders Auserwählte. "Nobelpreisträger", da schwingt Ehrfurcht mit für jene, die sich so nennen dürfen, zeitlebens zehren die Mitglieder dieses elitären Klubs der Klügsten aller Klugen von ihrem Titel. Nun ja, was eben so "zeitlebens" bedeutet, wenn es in der Regel doch eher die betagteren Herrschaften trifft. Ganz gut vielleicht - denn wohin kann ein Weg noch führen, wenn einem Wissenschaftler schon in jungen Jahren der Nobelpreis zuerkannt wird?

Eigentlich, diese Antwort jedenfalls suggeriert der britische Bestsellerautor Ian McEwan ("Abbitte") in seinem neuen Roman "Solar", eigentlich kann es mit so einem nur noch bergab gehen. Was seinen Protagonisten, den Physiker Michael Beard, der vergleichsweise früh den Nobelpreis für seine Forschungen über elektromagnetische Strahlung erhalten hat, zu einer geradezu idealen Romanfigur macht - und zu einer zugleich vollkommen untypischen. Ideal deshalb, weil jedes menschliche Scheitern allemal interessanter zu beobachten ist als die glatte Heldengeschichte. Die Fallhöhe ist größer. Und untypisch, weil dieser Michael Beard wahrlich kein Sympathieträger ist. Im Gegenteil. Er ist ein Unsympath. Ein fetter, eitler, fauler alter Sack, der die Ehrendoktorwürden wie die Frauen erst sammelt, dann ausnutzt und Moral vermutlich nicht mal buchstabieren kann. Ehe Nummer fünf geht gerade in die Brüche, wissenschaftlich hat Beard seit langer Zeit nichts mehr gerissen - und dann geschieht auch noch ein Todesfall, der zunächst wie die perfekte Lösung all seiner Probleme erscheint, sich aber letztlich als der entscheidende Stoß von der Klippe erweist.

Klingt tragisch? Ist es auch - und dabei wirklich ziemlich lustig. Mehr als die Wendungen der Handlung ist es dieser egozentrische Neurotiker Beard, der "Solar" zu einem so komischen Roman macht. Wie Beard auf eine Polarreise mit Künstlern eingeladen wird, wo zwar engagiert über die Rettung der Welt debattiert wird, aber niemand auch nur ansatzweise in der Lage ist, wenigstens die Schuhe und Handschuhe in Ordnung zu halten, und wo der berühmte Nobelpreisträger sich beim Schneemobilfahren unter Harndrang nach allen Kräften blamiert, ist eine der - vielleicht etwas zu ausführlich beschriebenen - Szenen, die wunderbar ironisch und skurril geraten sind. Keine jedoch ist so herrlich wie die im Zug, in dem Michael Beard auf dem Weg zu einer Konferenz einem Fremden gegenüber sitzt, der sich - nachdem der Wissenschaftler seine geliebte Essigchipstüte heißhungrig aufgerissen hat - plötzlich ebenfalls von dem Knabberzeug bedient. Wie zwei Sumo-Ringer belauern sich die beiden Bahnfahrer, während sie abwechselnd in die knisternde Tüte greifen, bis sie leer ist. Ein stummer Machtkampf, der damit endet, dass Beard wütend und beschämt aussteigt - nur um zu bemerken, dass es gar nicht seine eigene Tüte war, die er da (innerlich) verteidigt hat. Sie steckt ungeöffnet noch im Mantel, er war es selbst, der sich dreist aus der Chipstüte des Gegenübers bedient hat.

Ähnlich desaströs enden auch Beards andere Vorhaben. Seine von ihm oft betrogene Ehefrau nimmt sich selbst Liebhaber, was ihn unfassbar kränkt, sein Assistent macht eine bahnbrechende physikalische Entdeckung, die Beard erst nicht ernst nimmt und ihm dann klaut, "sein" revolutionäres wissenschaftliches Comeback in den USA (wie auch sein privates neues Glück) steuert auf ein groteskes Fiasko zu. Und "Solar" wird endgültig zur Wissenschaftssatire.

Aber ist es - wie manche Rezension vermuten ließ - ein politisches Buch, das Ian McEwan abgeliefert hat, nur weil es die Klimakatastrophe thematisiert? Klar - so politisch, wie eine Satire immer ist, wenn sie gut ist.

In dieser der Völlerei und Vielweiberei erlegenen (Witz-)Figur des Michael Beard jedenfalls spiegelt sich auch der Zustand der Welt. Gute Vorsätze gibt es auch im Klimawandel, man denke nur an Rio oder Kopenhagen. Die Menschheit weiß es besser, allein, es bräuchte so viel Überwindung. Das ist global nicht anders als bei jedem Einzelnen. Nur liest sich die Apokalypse des Einzelnen deutlich unterhaltsamer.