Neulich einen Exkollegen am Gänsemarkt getroffen. Auf die Frage "Wie geht's?" antwortete er 13 Minuten lang. Wie eklig das Wetter, wie intrigant die Kollegen, wie frech die Gaspreise. Wie fad die Arbeit, wie renitent das Kind, wie verschnupft die Gattin. Die da oben keine Ahnung, die da unten achduje. Das Fernsehen verdummt, das Essen lügt, es gibt keine Moral mehr, kurz: Die Welt ist schlecht und er mittendrin.

"Und du so?"

Äh, ich? Ich hätte auch einiges aufzufahren, was mich kränkt und ängstigt, nervt und verstört. Aber dann dachte ich an den Regenbogen im September. In reinstem Halbrund spann er sich vom Michel bis zur Uni. Seine Schönheit war flüchtig, und als er verging, waren alle Krisen und Egomanen immer noch da. Doch sie waren weniger seelengierig.

Also antwortete ich "Mir geht's gut", was den Mann irgendwie enttäuschte. Er verdächtigte mich des Lottogewinns, aber die Wahrheit ist viel banaler: Mit geht es gut, weil ich Regenbogen sehe. Weil mich der vierjährige Piet aus dem zweiten Stock immer so anlacht. Weil ich die perfekte Nudel koche, weil manche Rosen nach Himbeeren duften, und weil sich meine Freundin über meine Witzchen so ausschütten kann, dass sie mit ihrem Gelächter die halbe Lola in Bergedorf zum Wiehern bringt. Weil sich die graziöse Perserin freut, die ich in der Kassenschlange vorlasse, weil ein Paar sich lächelnd an der Ampel küsst, weil der erste Schluck kaltes Bier der beste ist, weil Mozarts Musik immer noch berührt, weil das Abendrot die Zimmerwände färbt, weil der Conrad-Elektroverkäufer mich besser versteht als ich mich - weil es unzählige schöne Kleinigkeiten zwischen den großen Miseren gibt. Weil die Welt nur so schlecht ist, wie man sie sehen will.

Frankreich & Mozart Kammerkonzert, Ensemble Obligat, Werke v. Debussy, Ravel, Mozarts erste und letzte Komposition, Fr 5.11., 19.30, Sa 6.11. 19.00, Baron-Voght-Str. 50 (MetroBus 15), Karten (25,-/15,-): T. 82 87 90; www.ensemble-obligat.de