Der Hamburger Pianist Matthias Kirschnereit geht abseits von Glamour und Marketing seinen erfolgreichen Weg

St. Michaelis. Der Hausherr serviert Tee und erzählt von seiner vierjährigen Tochter: wie begeistert sie von Orchesterinstrumenten ist - nur als bei einem Konzert von Mozart das Klavier einsetzte, da klagte sie: "Papa, mir ist so langweilig!"

Papa, selbst Konzertpianist, nimmt es mit Humor. Die Augen blitzen hinter der Brille, als wäre er auf der Suche nach einem Bonmot, einer schrägen Situation. Matthias Kirschnereit formuliert fließend und pointiert. Mit den Jahren hat er ein paar graue Haare im Lockenschopf dazubekommen - und eine Spur professoraler Aura. Das passt doch; an der Musikhochschule Rostock hat er eine rechte Kaderschmiede hochgezogen.

Vor allem aber hat der heute 48-Jährige über drei Jahrzehnte hinweg eine stetige Solistenkarriere hingelegt. Kirschnereit konzertiert mit Weltstars wie dem Geiger Christian Tetzlaff und der Klarinettistin Sharon Kam. Die "Neue Zürcher Zeitung" nannte ihn 2006 "die Entdeckung des Mozartjahres", und 2009 bekam er den begehrten Echo Klassik. Diese Woche ist Kirschnereit gleich zweimal in Hamburg zu hören: Mit dem Bariton Andreas Schmidt gestaltet er einen Schumann-Abend im Michel, und bei dem kleinen, feinen Festival "Musik in den Häusern der Stadt" gibt er ein Recital - neudeutsch für Sonatenabend.

Es ist kein Zufall, dass er nicht im Großen Saal der Laeiszhalle auftritt. Kirschnereit lebt zwar seit 25 Jahren in Hamburg, inzwischen mit seiner größer werdenden Familie in Alsterdorf - aber erstaunlicherweise hat er hier immer noch eher Geheimtippstatus.

Das mag an seiner Künstlerpersönlichkeit liegen. Kirschnereit provoziert nicht, Überwältigungsgesten liegen ihm fern. Ihm geht es um ein "wahrhaftig empfundenes Nachschöpfen". Seine CD "Scenen" mit Charakterstücken von Robert Schumann ist der jüngste Beleg, wie tief er Musik durchdringt. So farbig er gestaltet, bei allem subtilen Schwung, allem Gespür für winzige Rückungen wird Kirschnereit nie kitschig und erweist so der scheinbaren Schlichtheit der Miniaturen den höchsten Respekt. Das ist Musik zum Hinhören. "Je älter ich werde, desto intensiver verstehe ich die Musik. Das ist ein großes Glück."

Eile hat Kirschnereit nicht; er ist, wie er sagt, über lange Zeit gereift - auch das wieder etwas, das dem Konzertbetrieb schlicht zu unspektakulär ist. Jahre seiner Kindheit verbrachte er mit der Familie in Namibias Hauptstadt Windhoek, drei davon ganz ohne Klavierunterricht. Mit 14 Jahren ging er als Jungstudent an die Detmolder Musikhochschule. Er wohnte mit seinem älteren Bruder zusammen, die Eltern waren in Windhoek geblieben, wo der Vater Pastor war. Dass er in der 11. Klasse von der Schule abging - in dem Städtchen Detmold ein Skandal. Aber nötig: "Ich bin auf den allerletzten Zug für eine Pianistenkarriere aufgesprungen."

Das Vertrauen, das seine Eltern und seine Professorin damals in ihn setzten, gibt er jetzt an seine Schüler weiter. Zu ihnen zählen Nachwuchsstars wie Caspar Frantz und Annika Treutler. Kirschnereit hält über die Examina hinaus mit ihnen Verbindung, bespricht mit ihnen CD-Programme und coacht sie telefonisch bei Wettbewerben.

Sein Rekord sind zwölf Stunden Unterricht an einem Tag - dazu kommen die administrativen Pflichten, die an einer Musikhochschule anfallen. Die mentale Vorbereitung auf ein Konzert hat da kaum Platz. "Kunst kommt aus der Stille", sagt er. "Vor Konzerten bräuchte ich eigentlich eine Woche Pause. Inzwischen kann ich die nötige Versenkung in zwei Tagen erreichen. Aber dann habe ich den Tunnelblick."

Im Nachbarraum erklingt ein Kinderstimmchen. Kirschnereit wird plötzlich unruhig. Er verabschiedet sich höflich - und ist im nächsten Moment hinter einem bunten Vorhang verschwunden. Am nächsten Tag geht er wieder auf Tournee: sechsmal 5. Klavierkonzert von Beethoven. Aber jetzt ist es Zeit, mit seiner Tochter zu spielen.

Matthias Kirschnereit spielt Schumann heute, 20.15, St. Michaelis. Karten zu 18,- bis 25,- unter T. 44 02 98

Recital mit Schumann und Chopin - Musik in den Häusern der Stadt 6.11., 19.30, Rothenbaumchaussee 213, Karten zu 11,- bis 18,- unter T. 0180/178 79 80, www.kunstsalon.de