Die New Yorker Philharmoniker unter Alan Gilbert boten ein grandioses Konzert in der Laeiszhalle

Hamburg. Amerikanische Orchester stehen in dem Ruf, sie seien perfekte, aber ziemlich kalte Maschinen. Weit entfernt von den Bequemlichkeiten des Musikbeamtentums müssten die Instrumentalisten fortwährend Bestleistung erbringen, die ständige latente Angst um den Arbeitsplatz äße ihre Seele auf. Das mit der Bestleistung stimmt, wie ein ungläubig staunendes Publikum am Montag beim Gastspiel des New York Philharmonic unter der Leitung seines neuen Chefdirigenten Alan Gilbert in der nahezu ausverkaufen Laeiszhalle feststellen durfte.

Das Orchester spielte geradezu unfassbar präzis, in allen Instrumentengruppen blitzsauber, klangvoll und nuanciert. Aber das war nicht alles. Die Seele war mitgereist aus New York, sie umhüllt den fantastischen Sound dieser Elitetruppe wie eine mächtige, in vielen Farben schimmernde Aura.

Die New Yorker fielen nicht mit der Tür ins Haus. Beim duftigen Horsd'œuvre "Prélude à l'après-midi d'un faune" von Debussy zeigten sie sich zuerst von ihrer feinen, sanften Seite. Im anschließenden Violinkonzert d-Moll von Jean Sibelius, bei dem Leonidas Kavakos mit einigen verrutschten Oktaven, allzu forciertem Vibrato im langsamen Satz und dem ruppig aus der Stradivari geflexten Finale kaum je vergessen ließ, dass dies ein teuflisch schwer zu spielendes Stück ist, versöhnte das Orchester mit einer Tiefenschärfe im Klang, die wie von einer anderen Welt zu kommen schien.

Nach der Pause hatte der Star des Abends freie Bahn: das Orchester. Eine geradezu unverschämte Lust an diszipliniertem Klangrausch prägte den "Don Juan" von Richard Strauss, aus dem Gilbert eine Galavorstellung machte. Wo man auch hinhörte - Fagotte, Streicher, Harfe, unfassbare Hörner: Die New Yorker ließen diese Orchesterfantasie blitzen und glänzen wie einen frisch polierten Cadillac aus den 50er-Jahren. Die Glockenspiel-Melodien gaben dem Stück gerade jene Prise Disney-Americana, die einen vollends glauben machte, das Stück sei ins geistige Eigentum der New Yorker übergegangen und nicht nur eine höfliche Geste gegenüber dem deutschen Publikum.

Die vier wie Charakterstücke voneinander unterschiedenen Sätze von Paul Hindemiths mitunter etwas penetrant teutonisch geratenen "Symphonischen Metamorphosen über Themen Carl Maria von Webers" boten abschließend Gelegenheit, die Brillanz aller Orchestergruppen vorzuführen.

Auf seiner ersten Europatournee brauchte Gilbert offenbar ein Stück Heimat, weshalb er das Dirigentenpodium aus der Avery Fisher Hall mit verschiffen ließ. Das hätte er vielleicht besser da gelassen, verleitete es ihn doch zu manchmal allzu grandiosen Klangwellen. Doch was ist Orchesterkunst in Perfektion? Wenn alles stimmt - Crescendi, Bögen, Pausen, Energie, Form, und nichts klingt flach oder bloß routiniert.

Als Zugabe beschenkte Alan Gilbert, charmant auf Deutsch anmoderiert, die Hamburger mit der "Akademischen Festouvertüre" ihres großen Sohns Johannes Brahms - und mit einem umwerfend schönen, sanften "Lonely Town" aus Leonard Bernsteins Musical "On The Town".