Alan Gilbert, Erster Gastdirigent des NDR Sinfonieorchesters, kommt mit dem New York Philharmonic nach Hamburg

Laeiszhalle. Das Vergnügen, den Chefdirigenten im weinroten Polohemd am Pult wirbeln zu sehen und zwischendurch lustigen Silbensalat brabbeln zu hören, wird den Besuchern des Gastspiels des New York Philharmonic heute versagt bleiben. Alan Gilbert, seit der vergangenen Saison Oberhaupt des berühmtesten Orchesters unter den "Big Five" der USA, dürfte sich dem ihm wohlvertrauten Hamburger Publikum ganz standesgemäß in Schwarz-Weiß präsentieren und seine Arbeit schweigsam verrichten. Zu Hause aber, in der Avery Fisher Hall im Lincoln Center von New York, tritt der mit seinen 43 Jahren noch immer fast jungenhaft wirkende Dirigent auch mal ganz lässig und unkonventionell auf, zumindest wenn es die Regieanweisung verlangt.

Sportlich-lässig gekleidet und um die partiturgerechte Wiedergabe seiner kleinen Gesangseinlage bemüht, mutete Gilbert mit seinen New Yorkern der Stadt im Oktober die dortige Erstaufführung von Magnus Lindbergs gewaltigem Oeuvre "Kraft" (1983/85) zu; die Kostümierung der acht Solisten sowie des Dirigenten in bunte Polohemden war der freundlichen Aufnahme des Werks gewiss förderlich. Vor allem aber türmten sich vor den Konzertgängern die absonderlichsten Percussion-Instrumente auf, von denen die Schlagzeuggruppe ein Gutteil bei einer gezielten Exkursion auf einem Schrottplatz in Staten Island erworben hatte: zerbeulte Bleche, Auspuffrohre, Federbeine, Plastikmüll, angerostete Kanister und anderer Abfall, der zur Verfertigung musikalischer Klänge bestens geeignet ist, zumindest in den Krachmacherstraßen dieser Welt. In allen vier Ecken und auf einigen Balkonen des Riesensaals musizierten kleine Instrumentalgruppen, von der Decke baumelte an einem Seil ein großer Gong.

Dazu bot der übliche Orchesterapparat auf, was ihm seit seiner Gründung vor 168 Jahren weltweit Anerkennung und Neid gebracht hat: einen bis ins kleinste Pianissimo ausgehörten, überaus homogenen Streicherklang, sauberste Akkuratesse in den Bläsern und als Organismus die Autorität, die einem als Klangkörper halt zuwächst, wenn die Vorvorväter am Pult einst Dvoraks "Sinfonie aus der Neuen Welt" uraufgeführt haben oder 1928 George Gershwins "American In Paris".

Zugegeben, Raumklang-Kompositionen wie die von Magnus Lindberg gehören auch unter Gilbert noch zu den Ausnahmen im Repertoire des New York Philharmonic, selbst wenn das finnische Enfant terrible der Klassikszene über zwei Spielzeiten hinweg dort als Composer in Residence wirkt. Doch hat sich das Orchester unter Gilberts Leitung spürbar auch gegenüber dem Exzentrischen geöffnet.

Auf dieser Europatournee - zehn Jahre sind seit dem letzten Hamburgbesuch vergangen - steht jedoch nicht die Freude am Kontroversen auf dem Programm, sondern das Kulinarische: Debussys "Prélude à l'après-midi d'un faune", das die New Yorker so delikat spielen, als wär's ein Stück aus allerfeinster Seide, das Violinkonzert d-Moll von Jean Sibelius mit dem Geiger Leonidas Kavakos, "Don Juan" von Richard Strauss und Paul Hindemiths "Symphonische Metamorphosen nach Themen von Carl Maria von Weber".

Das Orchester ist bereits hinreichend akklimatisiert, wenn es die Bühne der Laeiszhalle betritt. Seit 24. Oktober konzertieren die New Yorker auf dem Alten Kontinent. Zum Tour-Auftakt in Belgrad wurden erst mal die Nationalhymnen Serbiens und der USA gespielt, ehe man zur Tagesordnung des regulären Programms übergehen konnte. Am vergangenen Freitag lud das Orchester in Warschau die Russin Yulianna Avdeeva, Siegerin des diesjährigen Chopin-Klavierwettbewerbs, zu einem Auftritt. Ob es sich auch für Hamburg eine Überraschung ausdenken wird?

Möglich wär's, denn zumindest aus Hamburger Perspektive bildet das heutige Gastspiel für Alan Gilbert einen Höhepunkt seiner bisherigen Karriere. Seit Herbst 2004 ist er Erster Gastdirigent des NDR Sinfonieorchesters. "Damals kannte ihn kein Mensch", feixte Rolf Beck, Chef der NDR-Klangkörper, Jahre später. "Jetzt wollen ihn alle haben, aber nun ist es zu spät."

Nun endlich kann sich der gelernte Geiger und Bratscher, der mit einer schwedischen Cellistin verheiratet ist und drei kleine Kinder hat, in Hamburg mit dem Orchester präsentieren, das nicht nur im übertragenen Sinn seine Wiege ist. Bis der Vater Michael Gilbert 2001 in den Ruhestand ging, gehörte er zur Streichergruppe des New York Philharmonic. Und seine Frau Yoko Takebe, Tuttistin bei den Ersten Geigen, folgt seit dem vergangenen Jahr den Anweisungen eines Herrn, dem sie in den frühen 70er-Jahren nicht nur die Grundlagen des Violinspiels beigebracht, sondern den sie am 23. Februar 1967 selbst zur Welt gebracht hat.

New York Philharmonic , heute 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), großer Saal, Johannes-Brahms-Platz, Tickets zu 12,- bis 135,- (zzgl. Vvk.-Geb.) unter T. 35 76 66 66