Mit “Reimagines Gershwin“ gelingt Brian Wilson ein epochales Album, mit versessener Liebe zum Detail. Er klingt so leicht wie lange nicht.

Man braucht schon reichlich Chuzpe, um die Musik von George Gershwin so klingen zu lassen, als sei er ein verkappter Surferboy gewesen. Als eines der großen originären amerikanischen Musikgenies arbeitete er sowohl für den Broadway als auch für Hollywood. Doch Gershwin als Beach Boy am Pazifik: Das klingt fast wie ein Sakrileg.

Brian Wilson gebricht es weder an Chuzpe noch an schöpferischer Ehrfurcht vor dem Werk des vielleicht wirkungsmächtigsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein neues Album "Brian Wilson Reimagines Gershwin" ist zu einer das Werk des anderen derart assimilierenden Umarmung geraten, dass allein schon diese rückstandslose Anverwandlung Staunen erregt. Wilson gelang eine sanft überwältigende, vielschichtige Übermalung von Gershwin-Songs unter besonderer Berücksichtigung seiner Oper "Porgy And Bess", die in jedem Takt Gershwin huldigt und zugleich unverkennbar Brian Wilsons Handschrift trägt. Dieses Album holt den wohl tragischsten Helden des kalifornischen Pop in seinem 69. Lebensjahr mit einem Schlag aus der Beinaheversenkung zurück ins Rampenlicht.

Als wäre die Catfish Row aus der Oper nicht von armen Leuten aus dem Schwarzenviertel bewohnt, sondern gesäumt von Klamottenläden, in denen es Hawaii-Hemden und Shorts in allen Pastellfarben zu kaufen gibt, die bunte Freizeituniform eines scheinbar ewigen kalifornischen Sommers, schaukeln sich die vom Tonmeister Al Schmitt unnachahmlich seidig gemischten Tonspuren zu Girlanden allerbester Laune auf. Gershwin, der 1898 in Brooklyn geborene Sohn russischer Einwanderer, verfügte testamentarisch, "Porgy And Bess" dürfe ausschließlich von schwarzen Sängern auf die Bühne gebracht werden; für die Bearbeitung der Lieder abseits der Opernbühne gilt dies nicht. Weißer, unbekümmerter, gischtsprühender als hier klang Gershwin nie.

Brian Wilsons Leben verlief bekanntlich ziemlich grauenhaft. Für all das Geld, das er als Kopf der Beach Boys und mit Tantiemen verdient hat, möchte man nicht mit ihm tauschen. Abwechselnd geplagt von Fettsucht und Depressionen, Drogen und Medikamenten, heimgesucht von ganzen Schwadronen geschäftstüchtiger Therapeuten, lässt sich seine Karriere als langes Jammertal von Lebenspein und Arbeitsstörungen beschreiben, gesäumt freilich von einigen einsamen Gipfeln, die er zuerst mit den Beach Boys erklomm und später in anderer Gesellschaft. Vor allem die Alben "Pet Sounds" (1966) und "Smile" (2004) dürften alle Zeiten überdauern.

Und, wagen wir die Prophetie, auch seine Gershwin-Platte wird sich einreihen ins Panorama der epochalen Wilson-Leistungen. Eine geradezu versessene Liebe zum harmonischen Detail hat sein Schaffen von früh an gekennzeichnet, und womöglich war es tatsächlich Gershwins Musik, die ihn dazu entflammte. Der Legende nach hörte er als Zweijähriger auf Omas Teppich zum ersten Mal die "Rhapsody In Blue" und war völlig hingerissen.

Die Platte beginnt mit einer schwelgerischen Reminiszenz an die Eingangstakte dieses Werks, wobei Brian Wilson alle Stimmen singt. Wo die Klarinette ihren ersten solistischen Einsatz hätte, leitet die Musik in eins der beiden Originals des Albums über, "The Like In I Love You". 104 unvollendete Songs übersandte ihm Adam Gershwin, der Großneffe des Komponisten, mit der Lizenz, fertigzustellen, was ihm gefiel. Wilson hat sich des Vertrauensbeweises würdig erwiesen. Die beiden von ihm komplettierten Gershwin-Fragmente ("Nothing But Love" ist das andere) fügen sich bruchlos ein.

Hinsichtlich der Instrumentierung fuhr Brian Wilson alles auf, was Kalifornien musikalisch groß gemacht hat: allerfeinste Streicher, Jazz-Bläsersätze und Chöre zum Schwindligwerden, außerdem einen Knackbass, der an den legendären Bert-Kaempfert-Sound erinnert. Als kolorierende Solotupfer kommen Banjo, Gitarren, Vibrafon, Theremin, Klavier, Cello und Hammond-Orgel zum Einsatz.

Zum Eindruck lebenserfahrener Unbeschwertheit tragen auch die Texte bei, die Wilson mit hörbarem Vergnügen interpretiert. Insbesondere "They Can't Take That Away From Me" (Ira Gershwin) hat es ihm angetan: "The Way You Hold Your Knife / The Way We Dance Til' Three / The Way You Changed My Life / No, They Can't Take That Away From Me" - Songzeilen wie diese sind ja auch schlicht genial.

Der Meister selbst ist vorzüglich bei Stimme. Zwei-, dreimal pro Woche ging er zum Gesangsunterricht, um in der Höhe nicht zu schwächeln. Der Lohn: Brian Wilson klingt so leicht und froh wie sehr, sehr lange nicht. Und der nächste Job steht schon fest: Die dem Disney-Konzern gehörende Plattenfirma will von ihm ein Album mit Gershwins Songs aus Disney-Filmen.

Brian Wilson Reimagines Gershwin (Walt Disney Records/ EMI)