“Lieben Sie Brahms?“, fragte Georgette Dee im Tivoli

Hamburg. Zigarette zwischen den Lippen, singt Georgette Dee "Du holde Kunst" von Franz Schubert. "Die Proletarier sollen auch mal etwas von der Hochkultur haben", findet die Diseuse, rafft ihre purpurnen Knitterseidenwogen und fragt schnippisch: "Ja, darf man denn das?" Natürlich darf man. Vorausgesetzt man ist die Georgette Dee. In Schmidts Tivoli gab sie tiefe Einblicke in ihre deutschlandweiten Liebesaffären und ergötzte dazwischen sich und die versammelte Fan-Gemeinde am deutschen Liedgut des 19. Jahrhunderts. "Ich wollte einmal einen klassischen Liederabend hören, an dem ich alles verstehe."

Das Wort, die Dichtung und nicht makellose Soprankantilenen kennzeichnen ihr neues Programm "Lieben Sie Brahms?", das Premiere in ihrem Stammhaus feierte. Feiern ist das einzig richtige Wort, denn Dee begießt ihr Sangesfest mit reichlich Wodka. "Ich muss was für meine Stimme tun." Bei den Eisbergen in ihrem Russentrank würde jeder Opernsängerin die Kehle schockgefrostet erstarren.

Dees gut geölte Gurgel kommt jedoch erst richtig in Schwung. Sie haucht, stöhnt und schmettert metallen die Lieder, akzentuiert sie mit eigenwilliger Intonation, spielt sie dramatisch, melancholisch oder ironisch aus. Ihr gelingen jedoch auch Momente gefühlvoller Ehrlichkeit und tiefer Ergriffenheit mit einem "Ernsten Gesang" von Brahms oder Schuberts "Erstarrung" aus der "Winterreise".

Was tut es, dass ihre Schumann-Lieder, mit brüchig-rauer, in den Höhen kippender Stimme vorgetragen, mehr an Brecht-Balladen als an Konzert-Gesang erinnern? Sie weiß es, sie wagt es gerade deshalb - und siegt auf ganzer Linie. Zickt kokett ihren wunderbaren klassikfirmen Klavierspieler Terry Truck an: "Manchmal muss die Sängerin eben auch den Pianisten begleiten."

Für echtes Kehlengold - an diesem, wie an den meisten Dee-Abenden - und für Stürme der Heiterkeit sorgen ihre spitzenmäßigen, frivolen und treffsicher pointierten Zwischentexte. Sie unterhält mit erotischen Märchen über ihre 1001 Liebhaber, verbindet die Städtereisen durch deutsche Lande mit den Stimmungen der Jahreszeiten und pikanten Ausflügen in Dichter- und Musiker-Biografien, schafft haarscharf und stets mühelos den Übergang zum jeweiligen Lied. Ihrem Latin Lover am Zürisee widmet sie "Im Schatten meiner Locken" aus Hugo Wolfs "Spanischem Liederbuch" und schüttelt dazu die silberblonde Mähne.

Nach der Pause legt Georgette richtig los, singt aus voller Brust, lässt den Kopf in den Nacken fallen - ganz sinnliche Suchtsängerin. Mit jedem Schluck Wodka wird sie expressiver und ausfälliger. Als sie ihre "persönliche Hymne" von Friedrich Hollaender "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" anstimmt, tobt der Saal.

Lieben Sie Brahms? 6.12., 20.00, Schmidts Tivoli, Karten T. 31 77 88 99; www.tivoli.de