Jan Müller-Wieland hat Roger Willemsens “Der Knacks“ ebenso ungewöhnlich wie eindrucksvoll vertont

Liebermann-Studio. Der Erfolg seines 2008 erschienenen Buches "Der Knacks" hat Roger Willemsen selbst überrascht. Denn es ist durchaus keine leichte Kost, die der Autor da serviert, sondern eine Reflexion über schicksalhafte Wendepunkte und daraus resultierende feine Risse in unserem Leben. Eine Sammlung von Alltagsszenen, Dialogen und Prosatexten, mit vielen nachdenklichen und melancholischen, mitunter aber auch ironisch aufgelockerten Momenten. Zu den Lesern des Essays gehört auch der Komponist Jan Müller-Wieland. Er hat im Auftrag des Ensembles Resonanz Auszüge aus dem "Knacks" vertont und zu einem Melodram zusammengefügt, das jetzt in der NDR-Reihe "das neue werk" aufgeführt wird.

Für Müller-Wieland ist der Knacks "der Leermoment in einem selbst, den man durch eine Traurigkeit oder Glücklichkeit stopft. Es geht um das, was nach außen hin nicht passiert, und deshalb eignet sich das Buch für dieses Implosionsvermögen, was Musik haben kann."

Genau diesem Implosionsvermögen hat der Komponist mit einer Pianistin und 18 Resonanz-Streichern nachgespürt, die nicht nur auf den Instrumenten spielen und dabei allerlei gewohnte und ungewohnte Klänge erzeugen, sondern die zwischendrin auch flüstern, rufen, quieken oder Dinge zu Boden werfen.

Mit dieser farbigen Klangsprache konnte Müller-Wieland auch den Autor überzeugen - nachdem Willemsen zunächst andere Vorstellungen hatte: "Ich hätte viel eher an die Malerei gedacht. Nicht umsonst hat das Buch das Motto eines Malers, nämlich Goyas, der sagte, die Zeit ist ein Maler. Und dann erzählte mir Jan Müller-Wieland, er habe vor, etwas Klassisches zu brechen oder andere Elemente einfließen zu lassen. Und je mehr er mir erzählte, welche Momente des Ausbleichens, Verschwindens oder Erlöschens er dafür vorsieht und wie stark er auch den Raum der Geräusche mit einbeziehen würde, desto plausibler wurde es mir."

Das Libretto des Komponisten bescherte dem Autor eine neue Perspektive: "Das Bemerkenswerte war, dass er nicht Passagen ausgewählt hat, die wir jetzt musikalisch nennen würden. Sondern er hat Landschaftsbeschreibungen genommen, er hat Politisches genommen, er hat eine Todesszene genommen - und ich guckte noch mal auf diese Textauswahl und merkte: Das verändert den Blick auf das eigene Buch."

Zwischen den Stücken liest Willemsen aus seinem Buch und ist begeistert von dem Part, den er in dem Konzert einnimt: "Ich hätte nicht gedacht, wie unterschiedlich und spannungsvoll man Pausen gestalten kann. In das Schweigen hinein dann seine eigenen Sätze platzieren zu dürfen, die keinen schöneren Sockel haben könnten, ist natürlich ein großes Vergnügen."

Das rund 90-minütige Melodram - erst kürzlich beim Bonner Beethovenfest uraufgeführt - bedient sich immer wieder in der Schatzkiste der Musikgeschichte und montiert verschiedene Versatzstücke von Bach bis Ravel in die Gegenwart hinein: eine nur scheinbare Naivität, die immer wieder geschickt gebrochen wird. Damit balanciert die Musik auf einem schmalen Grat - aber das ist dem Komponisten Jan Müller-Wieland durchaus bewusst. "Es steht und fällt alles mit dem Taktgefühl. Denn sonst tappt man in die Pathosfalle - und das ist beim Melodram ganz gefährlich."

Der Knacks: Di 26.10., 20.00, Rolf-Liebermann-Studio (Bus 34, 109), NDR-Gelände, Oberstraße 120, Karten zu 20,- unter T. 0180/178 79 80; Infos im Internet unter www.ndr.de