Er liebte Partys und teure Autos, er suchte die Seele eines Stücks. Bis ein Unfall seine Karriere beendete. Jetzt hat er seinen ersten Auftritt absolviert.

Hamburg. Dass auf ihn jemand gewartet hätte, wäre übertrieben. Nur wenige Klavier-Experten kennen überhaupt noch den Namen Josef Bulva , und meistens ist er dann verbunden mit vielen exzentrischen Geschichten: schnelle Autos, teurer Lebensstil, geheimnisvolles Finanzglück, Spionage-Gerüchte. Doch Josef Bulva ist vor allem: Pianist . Geboren im tschechischen Brno (Brünn), 67 Jahre alt. 14 Jahre lang hat er nicht mehr öffentlich gespielt, nun versucht er ein Comeback. Denn als Pianist zählt er bis heute - 29 Platten zum Trotz - eher zu den Exoten.

Schon immer war Bulva ein Künstler, der viel zu erzählen hat. Er ist ein Mann weitläufiger Interessen, und wenn man Zeit mitbringt, mäandert ein Gespräch mit ihm locker vom Euro und der Bankenkrise über Prag 1968, Schach und Astrophysik, edle Autos und Spitzenweine bis hin zu den Soufflés, die nur in einem Hotel in Monaco perfekt sind. Trotzdem vermittelt der Verbal-Flaneur Bulva immer den Eindruck zurückhaltender Noblesse - wie einer, der zu viel weiß, sein Gegenüber damit aber keinesfalls belasten will.

Doch auch der Musiker in ihm weiß viel. Und will missionieren, das Publikum überzeugen vom Bulva-Stil, von seiner ganz besonderen Art, Klavier zu spielen. Die begann er mit neun Jahren und dem selbst auferlegtem Drill, täglich wie besessen acht Stunden lang die Finger zu "dressieren", wie er heute noch sagt. Zwei Jahre später waren die Synapsen so verschaltet, dass er virtuoseste Stücke spielen konnte. Ein PR-Märchen? Man traut ihm solche Hartnäckigkeit ohne Weiteres zu. Er spielt bald besser als seine Lehrer; die lassen ihn jede Woche eine Sonate auswendig lernen - Brahms, Liszt, Chopin. Das Ergebnis ist ein "Wunderkind" sozialistischer Prägung, das einen privilegierten schulischen Sonderweg nehmen darf und als "Staatssolist" der damaligen Tschechoslowakei ein gesichertes Auskommen als Künstler hat. Beste Kontakte zum Regime in Prag inklusive. Hebt man bei einer so steilen Karriere ab? Eher schwingt, wenn er davon erzählt, eine gewisse Verwunderung mit, wie glatt das alles funktioniert hat.

Bulva genießt seine Ausnahmeposition, vertieft sich in die Musik, hat Kontakte zu Komponisten; sie widmen ihm eigens für ihn geschriebene Werke. Er leistet sich italienische Sportwagen, steht im August 1968, als der Prager Frühling von Sowjet-Panzern niedergewalzt wird, nicht auf dem Wenzelsplatz bei den Demonstranten, sondern sitzt in einer Regierungsdatscha. "In Gedanken schon weit weg", sagt er heute, weil das Leben und seine künstlerischen Entwicklungsmöglichkeiten überschaubar geworden waren, mit gerade mal 28 Jahren.

Ein Unfall 1971 bringt eine Denkpause, eine Auslandstournee 1972 die Gelegenheit zur Emigration. Seinen Maserati lässt er im Osten, und als er in einem alten Jaguar seine Heimat verlässt, salutieren die Grenzer. Der Staat nimmt ihm das übel - seine Aufnahmen, sagt er, wurden damals vom Geheimdienst gelöscht.

Als Emigrant lebt er in Luxemburg, später in München. Er findet Kontakte zur besten Gesellschaft, gibt legendäre Partys. Und er hat eine genaue Vorstellung davon, wie es klingen soll, wenn er Klavier spielt. Er sucht auf seinem Steinway einen besonderen schwebenden Klang, die Stimmen in einer unaufdringlichen, transparenten Balance, auch bei schwindelerregender Virtuosität. Bulva grübelt über die Absichten der Komponisten wie über Schachprobleme, über die einzig richtige Spielweise, über innere Zusammenhänge. Den Analytiker unter den Pianisten hat man ihn genannt, aber auch den Mathematiker. Er selbst sagt trocken: "Wir Pianisten sind nicht kreativ, wir sind Dienstpersonal der Komponisten." Er selbst will die Seele eines Stücks finden. Das kann dauern: "Ich mache alle Sachen sehr umständlich, und wenn jemand mit der Idee kommt, es könnte auch leicht und kurz sein, dann sag ich: Schön, aber warum machen wir es nicht kompliziert und lang? So war ich schon als Kind."

Fünfmal hat er inzwischen Beethovens Waldstein-Sonate eingespielt, über manchen Stellen hat er Jahre gebrütet. Immer wieder fragt er sich: "Ob der Luigi das so gemeint hat?" Er geht im Westen auf Tour, bleibt außerhalb des Zirkels der Weltstars. Sein Spiel polarisiert, Klavierpapst Joachim Kaiser nennt ihn mal den "Pianisten des wissenschaftlichen Zeitalters", Steinway ruft ihn gar zum "Pianisten der Pianisten" aus. Bulva entromantisiert und befreit viele Stücke von überdrehten Gefühlen. Dafür schelten ihn andere Kritiker als unverbindlich, blutleer und gefühlsarm.

1996 beendet ein zweiter Unfall seine Karriere, er stürzt im Winter mit der linken Hand in Glasscherben, die unter dem Schnee liegen. Die Ärzte flicken ihn zusammen. Spielen, sagen sie, wird er nie wieder können. Bulva verkauft seinen Flügel, überträgt seine analytischen Fähigkeiten ins Finanzgeschäft, gewinnt und verliert und überlebt die tiefste Krise seines Lebens. Sieben Jahre rührt er kein Instrument an. Dann hört er im Autoradio jemanden Liszts Polonaise E-Dur spielen. "Falscher Fingersatz", zuckt es ihm durchs Hirn, das muss anders! Plötzlich ist der innere Druck wieder da, selbst zu gestalten.

Es wird ein steiniger Weg, den er mit dem sturen Rezept seiner Kindheit bewältigt: gnadenlos üben, eisern trainieren, die Finger wieder und wieder zwingen und dressieren. So lange, bis die Synapsen wieder richtig verdrahtet sind, bis es wieder läuft auf den Tasten. Josef Bulva lehnt sich zurück und strahlt verhalten: Er hat die Kontrolle wiedergefunden. Aus kindlichem Trotz gelingt ihm dieses zweite Wunder. Die Ärzte staunen.

Seine erste CD nach dem Unfall ist gerade erschienen - Beethoven. Zu Weihnachten folgt eine mit Chopin, zu Ostern dann Liszt. Immer mit dem schwebenden Bulva-Klang; für den er seinen neuen Steinway hat modifizieren lassen: Es klingt singend, weich und selbst in den virtuosesten Passagen unprätentiös. Bulva spielt heute fast durchweg etwas schneller als früher, akkurat und perfekt. Nur wenige Stellen klingen noch leicht unscharf.

Erste Auftritte vor kleinem Publikum hat er bereits absolviert. Ein Konzertveranstalter, der das Risiko genauso liebt wie gute Geschichten, hat sie organisiert. Er setzt schon mal ein Ausrufezeichen hinter "Das Comeback!" - den Titel der großen Deutschland-Tournee nach 14 Jahren. Sie startete im Oktober, heute spielt Josef Bulva in der Laeiszhalle. Beethoven, Chopin und Martinus Sonate Nr. 1. Wie immer er das spielt - es sind für ihn auch diesmal nur Zwischenergebnisse im Lebenswerk eines ewigen Zweiflers.

Josef Bulva: Das Comeback!, heute, 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), 18,95 bis 49,95 Euro; Josef Bulva spielt Beethoven. Sony Music/RCA