Christoph Schlingensiefs “Mea Culpa“ rührte zu Tränen

Hamburg. Schon vor dem Einlass des Publikums flossen die Tränen der Trauer. Schauspieler und Techniker gedachten im Deutschen Schauspielhaus ihres am 21. August verstorbenen Kollegen Christoph Schlingensief mit einer Schweigeminute. Der Regisseur hatte seinen 50. Geburtstag am Sonntag in Hamburg feiern wollen, auf einem Boot im Hafen. Das Gastspiel seiner Readymade-Oper "Mea Culpa" vom Burgtheater Wien war schon lange geplant.

Nun war beim Hamburger Theaterfestival nur noch Schlingensiefs Stimme vom Band zu hören, das Stück über seinen Kampf gegen den Krebs ging ohne seinen Erfinder, Regisseur und Mitspieler über die Bühne. Schauspieler Joachim Meyerhoff, der ohnehin in der Inszenierung die Rolle des Regisseurs spielt, übernahm Schlingensiefs Part und erwies sich auch angesichts dieser unlösbaren Aufgabe als mächtiger Akteur, der den Verstorbenen würdig vertrat. Gemeinsam mit Fritzi Haberlandt bildete Meyerhoff ein großes Schauspiel-Duo.

Schlingensiefs Frau Aino Laberenz, die für "Mea Culpa" die Kostüme entwarf, Freunde und Weggefährten gedachten des revolutionären Theatermachers. Der schuf mit diesem wundersamen Panoptikum zwischen Singspiel und Klinik-Farce zu Lebzeiten ein Memento mori im Fest des Lebens, das nun für ihn zum Requiem wurde und dem Publikum nach seinem Tod als Memento mori dient. Die inszenierte Performance in einer fiktiven Ayurveda-Klinik funktioniert anders als frühere Arbeiten auch ohne die persönliche Anwesenheit Schlingensiefs, weder muss improvisiert werden, noch hängt der Ablauf an Reaktionen anderer, des Publikums, der Passanten, der Polizei.

Christoph Schlingensiefs künstlerischer Geist feierte mit der Hamburger "Mea Culpa"-Premiere seine Auferstehung. Das Stück mit den rund 100 Schauspielern, Sängern, Technikern, Chor und Orchester war seit einem Gastspiel in der Bayerischen Staatsoper in München im September 2009 nicht mehr gespielt worden. Dass es nun zu den beiden Hamburger Aufführungen kam, ist dem guten Willen der Wiener Burg, des Theaterfestivals und der Mitwirkenden zu verdanken. Dramaturg Carl Hegemann, der "Mea Culpa" am Burgtheater betreute, dankte bei einer kleinen Premieren- und Gedenkfeier im Marmorsaal tief bewegt und hofft auf weitere Aufführungen.

Das Gedenken an Christoph Schlingensief, seinen lebenslangen Kampf für die Kunst und seinen letzten Kampf gegen den Krebs, gepaart mit der großen, letzten Vision vom "Opernhaus in Afrika", führte zu nachdenklichen Gesprächen, denen seine Kunst immer den Weg bereitete. Tief berührt von der Aufführung erinnerte sich Thalia-Intendant Joachim Lux an die Vorgespräche, die er noch als Chefdramaturg des Wiener Burgtheaters mit Christoph Schlingensief zu "Mea Culpa" geführt hatte, und daran, dass er aus Hamburg zu der geplanten Geburtstagsfeier noch die Telefonnummern der Bootsverleiher beisteuern konnte.

Die fand dann nach Mitternacht im Hafen an Bord einer Barkasse auch noch statt, ganz im Geist des viel zu jung Verstorbenen.