Diseuse Georgette Dee gibt sich im neuen Liedprogramm mal klassisch

Schmidts Tivoli. "Lieben Sie Brahms?" Die Frage stellt Anthony Perkins in Anatole Litvaks gleichnamigem Film der von ihm angehimmelten Ingrid Bergman. Der schwarzäugige "Psycho"-Star möchte darin die attraktive Schwedenblondine in den besten Jahren zum Konzertbesuch und danach in sein Bett einladen. Nun gibt eine andere faszinierende vollreife Diva, die zugleich Mann und Frau, Herr und Dame ist, dieselbe Frage an ihre große Fan-Gemeinde zurück: Georgette Dee.

Deutschlands einzigartige, ostentativ dauerqualmende Diseuse macht im neuen Konzert-Programm "Lieben Sie Brahms?" zur Abwechslung mal auf klassisch. Im Tivoli präsentiert sie heute Abend mit dem getreuen Pianisten Terry Truck auf der Bühne ausschließlich hohe und heimische Liedkunst.

Was könnte denn Dees Schwenk zu Kompositionen von Johannes Brahms, Ludwig van Beethoven oder Robert Schumann zu bedeuten haben? Dass die wilden ausschweifenden schwulen Schwank-Jahre vorbei sind? Sie nicht mehr von Leidenschaft, Trunk und Traurigkeit berauscht ihren Sirenengesang von der Lust, Liebe und Sehnsucht anstimmt? Sollten gar besinnlichere, tiefere Gedanken und Gefühle das Hirn und Herz der schillernden, zwischen den Geschlechtern frivol oszillierenden Chansonette ergriffen haben? Sollte sie am Ende gar großmütterliche Regungen für ihre auch häufig noch jugendliche Verehrerschar entdeckt haben? Da sie sich doch aus dem reichen dichterischen und musikalischen Schatzkästlein der Deutschen zu bedienen gedenkt. Sie will Kinder- und Volkslieder singen, Märchen und Geschichten aus dem Volksmund erzählen, hat aber dabei dem deutschen Volk genau aufs Maul geschaut - wie sie ankündigt.

Das klingt doch schon besser. Hört sich wie eine unverhohlene Drohung an. Und weckt die Hoffnung: Georgette Dee ist auch im Alter die alte Punk-Diva geblieben.

Obwohl sich mit dem 50. Geburtstag einiges geändert hat, wie sie zugibt. "Früher hat man sich wo hingesetzt, wenn man in der Lonely-Heart-Kurve gelandet war, und blieb dann meistens nicht lange sitzen", sagt sie. "Heute macht man lieber gleich was anderes." Ab Mitte 30 sei ihr schlagartig klar geworden, sterblich zu sein, und das verändere die Wahrnehmung der Welt.

Ironisches Lächeln hellt die kantigen Gesichtszüge des durchaus bodenständig wirkenden Kerls aus der Lüneburger Heide auf. "Als Hochsensibelchen und Künstler setzt man sich damit anders auseinander. Aber es hat doch keinen Sinn und Schick mehr, sich als 50-jährige trinkende Raucherin auf die Bühne zu stellen und larmoyant hinter der großen Liebe herzuweinen." Ein raues Männerlachen ertönt.

Selbstironie war schon immer eine große Stärke der Kunstfigur Georgette. Sie hat offenbar weder Biss und Frechheit noch ihre Passion für Satire und sinnliche Süchte eingebüßt. Ihr viriles Alter Ego wirkt jedoch ruhiger, gesetzter, weniger krisengeschüttelt und verschlossen als früher, scheint in sich zu ruhen, bei sich angekommen zu sein. "Einmal muss man sich entscheiden, ob man nicht doch in der Liebe landen möchte oder immer weiterfliegen will, bis es einen hinüberhaut." In der Heide fühlt sich der Mann mit den kräftigen Händen verwurzelt, lebt jedoch auch in Berlin. "Ein spannender Moloch, ich kann abfahren, wenn es mir langt."

Georgette und ihr zweites Ich sind zwei verschiedene Welten. Genau wie die Wirklichkeit und der Film, in dem es ältere Damen leicht haben, von jungen Beaus begehrt zu werden. Um auf die Perkins-Frage zurückzukommen: Ja natürlich, wir lieben Brahms.

Wir brennen darauf, die Georgette den Brahms-Lullaby anstimmen zu hören, der aus ihrem Mund sicherlich klingt wie das Wiegenlied für melancholische Masochisten: "Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, schlüpf unter die Deck." Es sind zwar Nelken gemeint und nicht metallene Nieten. Allein was tut's? Georgette Dees laszives Gurren lässt keine Zweifel.

Lieben Sie Brahms? Mo 25.10., 20.00, Schmidts Tivoli (S Reeperbahn), Spielbudenplatz 24-28, Karten von 16,50 bis 25,30, T. 31 77 88 99; www.tivoli.de