Judith Zanders “Dinge, die wir heute sagten“ glückt

Mit dem Debüt für den Deutschen Buchpreis nominiert zu sein, das ist doch mal ein starkes Stück. Vor allem, wenn man erst 30 ist und einer Gegend entstammt, die als maulfaul bekannt ist und dennoch einen ganz besonders großen Dichter hervorgebracht hat: Uwe Johnson. Judith Zander, Wahl-Berlinerin (natürlich), ist wie Johnson in Anklam aufgewachsen, einer vorpommerschen Kleinstadt. Die ist eigentlich schon in der Mitte von Nirgendwo, wird in ihrer Höllentauglichkeit aber noch vom (fiktiven) Örtchen Bresekow übertroffen. Diese "Sammelstelle für Bekloppte", wie es heißt, ist der Schauplatz eines 480-Seiten-Romans.

Was viele schon vom Lesen abhalten dürfte, ihnen sei gesagt: Es passiert auch nicht wirklich etwas in "Dinge, die wir heute sagten", diesem so gelungenen wie kunstvollen Roman, auf den man sich einfach nur einlassen muss, wenn man ihn mögen will. Man muss sich einlassen auf die große Dorferzählung, die sich aus lauter kleinen zusammensetzt und auf Platt daherkommt oder eben nicht. Denn es kommen ja alle zu Wort, die in Bresekow ausharren.

In Monologen berichten sie, was sie so denken, was ihnen zustößt, was passiert ist und was gerade passiert. Das mag nicht viel sein: Die alte Anna Hanske ist gestorben, weshalb ihre Tochter mit Familie aus Irland zur Beerdigung anreist. Enkel Paul, ein hübscher Bengel, ist auch dabei. Die Mädchen, das sind die immer ein bisschen genervte Ella und die nicht minder immer ein bisschen genervte Romy, vergucken sich natürlich in diesen unwahrscheinlichen Gast. Und dass es ein Geheimnis um diese Hanskes gibt, passt zu diesem Dorf, ein jedes hat eine schummrige Vergangenheit, meistens versteckt in einem Familiendrama.

Diese alte Geschichte geistert in "Dinge, die wir heute sagten" herum, ohne dasjenige zu sein, auf das alles zuläuft. Denn die "Oral History" dieses Romans, dessen Titel auf die Beatles ("de Büdels"!) anspielt, ist auch eine Geschichtsstunde, in der deutsche Wendungen, ja: Weltgeschehen als nur persönliche, beredte, mal traurige, mal lustige Privathistorie wahrgenommen wird. Bresekow lag früher in der DDR, und die Enge des Provinznests wurde durch die Enge des Gefängnisses "Sozialismus" potenziert. Zanders Buch ist ein Mehr-Generationen-Stück, das viele Klangfarben hat: Beeindruckend, wie Zander so unterschiedliche Stimmen sprechen lässt wie die Großmutter, das pubertierende Mädchen, den Zurückgebliebenen, die Väter, die Mütter.

Die Technik der mehrstimmigen Dorferzählung perfektioniert Zander, sie wurde für den dauerplaudernden "Kaffeeklatsch" hier und da auch gescholten. Warum nur.

Judith Zander: Dinge, die wir heute sagten. dtv. 480 S., 16,90 Euro