Michael Köhlmeiers “Madalyn“ berichtet berührend vom allerersten romantischen Herzflattern

Die Geschichte einer ersten Liebe zwischen seliger Himmelsberührung und niederschmetternder Realität - davon erzählt der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier in seinem kurzen Roman "Madalyn". Ohne Umschweife kommt Köhlmeiers Ich-Erzähler zur Sache: "Im Frühling 09 war Madalyn noch nicht vierzehn Jahre alt. Ich kannte sie seit ihrer Geburt." Sebastian Lukasser, auch er ein Schriftsteller, der sich gern von allem abschottet, wird von dem kleinen Mädchen zum Vertrauten erwählt. Zunächst liefert Madalyn kleine Berichte aus dem Kindergarten. Als sie fünf Jahre alt ist, hilft Lukasser ihr beim Fahrradfahren und wird nur wenig später Zeuge ihres Unfalls, als die Kleine vor dem Haus von einem Auto erfasst wird. Er begleitet die Verletzte ins Krankenhaus, tröstet sie und wird zu ihrem Schutzengel.

Kein Wunder also, dass sie eines Tages mit einem handfesten Problem vor seiner Tür steht. Doch Lukasser, "ein eigenbrötlerischer Egoist", der lieber "Charaktere in den Computer hacken" will als ein Bild in der Wirklichkeit zu korrigieren, sträubt sich gegen die Rolle des Zuhörers und Beichtvaters - bis sich dann doch der "Samariter" in ihm zu Wort meldet und seinen Instinkt übertrumpft, der sagt: "Halt dich raus! Sei ein Egoist, du bist alt genug, du darfst." Madalyn berichtet ihrem väterlichen Freund von den Sorgen einer erstmals Liebenden: eine zutiefst berührende Liebesgeschichte. Und doch viel mehr. Denn hinter dieser komplexen und komplizierten Liebe zwischen Madalyn und dem 16 Jahre alten Moritz, der eine Klasse über ihr in dieselbe Schule geht, verbirgt sich noch ein anderes Spiel. Dabei geht es um Wahrheit und Lüge, um Fiktion und Realität. Mithin um das, was einen jeden Schriftsteller, selbstverständlich auch Sebastian Lukasser, den die Leser von Köhlmeiers letztem Roman, "Abendland", bereits kennen, immer wieder umtreibt.

Es geht um eigenes Erleben, Fantasie und darum, wie das eine das andere beflügelt: Leben oder Literatur, das scheint hier die Frage. Denn was ist Literatur, was ist Schriftstellerei anderes als das Erfinden von Geschichten? Lukasser bekennt: "Ich habe mich nie für die Wahrheit zuständig gefühlt."

Und auch Moritz, der aus einem schwierigen Elternhaus stammt und bei seiner Tante lebt, nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Wird er ertappt, fällt ihm augenblicklich eine Erklärung für seine Flunkerei ein, um nur wieder eine andere Täuschung zu liefern: "Jedes Geständnis eine neue Wahrheit, die durch das nächste Geständnis wieder zu einer Lüge wird." Mit einer solchen fängt bereits die Geschichte zwischen Madalyn und Moritz an. Sie bewundert ihn für ein Gedicht, von dem sie glaubt, er habe es selbst verfasst. Und auf diese Weise geht es immer weiter, allerdings schenkt Madalyn ihren Eltern auch nicht immer reinen Wein ein. Ja, sogar gegenüber ihrem Vertrauten, dem Schriftsteller, ist sie nicht ganz offen.

Und dennoch erscheinen Lug und Trug hier weder boshaft noch bösartig. Vielmehr erzählt Michael Köhlmeier mittels seines Ich-Erzählers Lukasser vom Herzflattern einer ersten Liebe auf so berührende Weise, dass man ganz schnell vergisst, dass es sich um eine Jugendliebe handelt. So ernst, so teilnahmsvoll, so zugewandt und verständnisvoll richtet sich der Blick Lukassers auf die beiden jungen Menschen und ihre herzzerreißenden Schwierigkeiten, aber auch auf "die Dinge voll Zauberei", die nur, wie Madalyn sagt, durch die Liebe so sind.

Und wie nebenbei entfaltet sich ein wunderbares und kluges Spiel von Täuschung und Irrglauben. Es ist das alte Spiel der Literatur.

Michael Köhlmeier: Madalyn. Hanser-Verlag, 173 S., 17,90 Euro