Ich teile den Menschenstrom auf der Reesendammbrücke mit einem Schritt. Touristen, Shopper, Geschäftsleute. Dann bin ich drin. Stehe im Weg. Irritierte Blicke. Was macht die denn da? Ich trete Kunst mit Füßen. Aber das muss so sein.

Die Stahlbodenplatte, über die die Flaneure hinweggehen ohne das Angebot, sich entrücken zu lassen, zu bemerken, misst 1,80 mal 1,80 Meter. Nur ein Begriff ist diskret in den Stahl graviert: RAUM. Es ist einer von "Sieben Orten für Hamburg", die 1989 von Franz Erhard Walther an sieben Schau-Plätzen installiert worden sind. ZEIT am Ufersaum der Lombardsbrücke. KOERPER in der Altstädterstraße. RAUM ist mir der liebste. Er wird mir zum Schau-Raum. Um mich herum, in mich hinein. Das ist meine Stadt, mein Zuhause, hier lebe ich. Lebe ich, wie ich es will? Er verführt mich, albern zu sein, Ansprachen zu halten, mich zu verbeugen. Spielraum. Er nimmt mir die Brille der Gewöhnung und Gleichgültigkeit ab. Lebensraum. Die Welt wird mir wieder lieb.

Ich sehe nicht mehr nur Leute, sondern Menschen. Mit frischem Blick sehe ich auf einmal überall Kunst, die aus einem Winkel der Stadtarchitektur herausspäht und mich herausfordert. Poetische Botschaften wie "An den See, auf dem See, von dem See ..." (Na? An welcher Wand?), andere in U-Bahn-Rolltreppen. "Wallfahrt" oder "Die eigene Geschichte", das von der S-Bahn aus neben dem Hauptbahnhof zu sehen ist und jedem Reisenden eine kleine Denkbombe mitgibt. Das Synagogenmosaik im Grindel. Im Schatten hoher Bäume duckende Skulpturen.

Das Ergreifende an diesen oft übersehenen Kunstwerken ist, dass ihre Wirkung unberechenbar ist. Kunst widersetzt sich Kosten-Nutzen-Analysen, das macht sie der Liebe so ähnlich, und so kostbar.

Kunst in der Stadt Hamburg: 40 Werke im öffentlichen Raum, Nicolai Verlag (189 S., 24,90) www.hamburg-tourism.de , Audioguide für mp3-Player: www.waysofwondering.com/zehngradkunst