Im ersten Mahler-Camp auf Kampnagel kamen Hamburger Jugendliche eine Woche lang dem Komponisten näher. Um textgetreue Wiedergabe ging aber nicht.

Hamburg. "Gott" steht grün umrandet auf einem Flipchart, etwas weiter unten "Angst" und "Hoffnung", daneben Namen und Instrumente. Ein gutes Dutzend Musiker ist auf Kampnagel dabei, einen Choral aus Gustav Mahlers Zweiter Sinfonie einzuüben, der "Auferstehungssinfonie".

Die Instrumentenauswahl ist reiner Zufall, vom Vibrafon bis zur Geige. Wer nun Anfänger ist und wer Profi, ist schwer auszumachen: Die vier Musiker der Philharmoniker Hamburg, die gerade mit den Grüppchen Tonhöhen und Notenwerte klären, sehen ohne Frack auch nicht viel älter aus als die Schüler.

Es ist der dritte Tag des "Mahler-Camps", das sich das Zentrum für Choreografie auf Kampnagel "K3", die Reihe "Elbphilharmonie Konzerte" und die Philharmoniker Hamburg im Rahmen von "Mahler in Hamburg" ausgedacht haben. Eine Woche lang haben sich 27 Jugendliche in den Räumen von K3 mit Mahlers Sinfonie beschäftigt. Um textgetreue Wiedergabe der Sinfonie geht es bei dem Projekt nicht. Der Choral ist nur ein Baustein, die Teilnehmer sollen vor allem Eigenes entwickeln. Wie die lose gefügte "Skizze" aus Musik, Tanz und Lichtinstallation aussehen wird, weiß noch niemand. "Natürlich wollen wir den Jugendlichen Mahlers Musik nahebringen", sagt die Leiterin Annika Schmitz. "Aber vor allem wollen wir sie darin unterstützen, Fragen und Gefühle, die auch Mahler bewegt haben, künstlerisch auszudrücken."

Im Lichtraum hört man keine Mahler-Fetzen, sondern nur gemurmelte Halbsätze. Orange, Gelb und Grün leuchten von den Wänden, Blumenranken werfen Schatten, die Fenster sind verhängt. Heute arbeitet hier die Tanzgruppe, und die Lichtgruppe tanzt. Schmitz und ihre Mitstreiterinnen haben zwar drei Gruppen eingeteilt, aber Austausch ist erwünscht. An der Wand hängt ein schwarzer Bogen Tonpapier, darauf kleben gelbe und rote Zettel - erste Ideen, wie die Bausteine verbunden werden könnten. Gelb steht für Licht, rot für Musik, blau für Tanz.

Jeder Teilnehmer führt ein Oktavheft in einer der drei Farben für seine ganz persönlichen Eindrücke und Einfälle - und manchmal gibt er es auch aus der Hand, damit jemand anderes aus der Gruppe ein Stichwort und ein Dritter eine Aufgabe hineinschreibt. So verzweigen sich die Ideen.

Im großen Probensaal schreiten drei Mädchen und ein Junge aufeinander zu, aneinander vorbei, sie bleiben stehen, kehren um oder sinken jäh in sich zusammen. Jeder hat sich einige Bewegungsmuster ausgedacht. Mit dem Körper Empfindungen auszudrücken, das muss man sich trauen. "Ich falle nicht gerne auf", sagt die 16-jährige Sina Kirchner. "Aber wenn die Scheu weg ist, kann ich auch Gefühle reinbringen."

Es ist hohe Kunst, den Jugendlichen kreative Freiheit zu lassen und den Prozess zugleich diskret zu steuern. "Wir helfen nur, dass der Ausdruck klar wird", sagt Annika Schmitz. "Aber den Ablauf werden wir festlegen, sonst drehen alle durch!"

Am meisten hat die junge Frau die "Fülle von Musik" beeindruckt

Am 25. Oktober wollen die Beteiligten aus den vielen Elementen eine Performance zeigen. Inhaltlich mitgenommen haben die Teilnehmer jetzt schon vieles, so wie die 20-jährige Pia Zielke: "Am meisten überwältigt mich die Fülle von Musik", sagt sie. "Eigentlich bin ich ein visueller Typ. Aber hier habe ich meine Ohren entdeckt."

Die Skizze der Camp-Ergebnisse wird am 25.10. um 19 Uhr im Kleinen Saal der Laeiszhalle aufgeführt. Eintritt frei. www.mahler-in-hamburg.de