Der junge italienische Tenor Vittorio Grigolo ist der neue, schöne Stern am Belcanto-Himmel. Er sieht aus wie ein Model, kann aber auch singen.

Hamburg. Der Tenor ist noch beim Stadtbummel. Gute zehn Minuten der kostbaren Interviewzeit sind dahin, als Vittorio Grigolo schließlich in der Hotellobby erscheint, schwarzlockig und mit markanten Augenbrauen. Nur etwas blass sieht er aus und irgendwie nicht wie der schmachtende Latin Lover, als den ihn die Promo-Bilder vor dem Fontanone del Gianicolo in Rom zeigen. Nach einem geistesabwesend wirkenden Händedruck lässt sich Grigolo auf ein ledernes Sofa fallen. Eine Viertelstunde noch - aber auf die erste Frage sagt er leise und mit leicht gequältem Ausdruck: "Könnten wir noch warten? Ich brauche erst etwas Süßes, ich fühle mich schwach."

"Habemus tenorem!", jubelte die Kritik einhellig über Vittorio Grigolos soeben erschienene Debüt-CD "The Italian Tenor". Die Auszüge aus Opern von Donizetti, Verdi und Puccini singt der 33-Jährige auch, wenn er und die Nordwestdeutsche Philharmonie am 15. Januar 2011 nach Hamburg in die Laeiszhalle kommen. Spätestens seit er im Londoner Covent Garden für Rolando Villazón einsprang und an der Seite von Anna Netrebko sein Debüt als unkeuscher Priester Des Grieux in Massenets "Manon Lescaut" gab, steht die Opern- und besonders die Belcanto-Szene kopf.

Schließlich brauchen die Aficionados in aller Welt ihre singenden Götter, und auch nach dem alles andere als glanzvollen Comeback des angeschlagenen Villazón sind noch Posten auf dem Tenor-Olymp vakant. Grigolo tritt in den bedeutendsten Häusern der Welt auf. Gerade hat er an der New Yorker Metropolitan Opera "La Bohème" gesungen, nächstes Jahr gastieren er und die Sopranistin Nino Machaidze in den Titelrollen von Gounods "Roméo et Juliette" an der Mailänder Scala.

Zu solch einer Karriere gehört eine Promotion-Tour nun einmal dazu. In dem Hamburger Hotel hat ein Stück Käsekuchen dem aufgehenden Stern am Tenorhimmel inzwischen ein wenig die Zunge gelöst. "Ich habe schon viel erreicht, und ich bin stolz darauf", sagt er mit seinem eindeutig italienisch klingenden Englisch. Er starrt dabei ins Leere, seine Sätze klingen gestanzt, als hätte er sie schon in viele Mikrofone gesagt. "Ich will meine Leidenschaft für die Musik ausleben. Ich will den Leuten zeigen, wer Vittorio ist, wer Vittorio war und wer Vittorio sein wird. Mit allen Gefühlen."

Dass Grigolo Sinn für die Dramen hat, die er auf der Bühne verhandelt, hört man seinem Singen an. Er artikuliert klar, sein Timbre ist strahlend und seine Stimme voluminös. Allerdings verengen sich sein Farbspektrum und seine Ausdrucksnuancen in der Höhe. Dann klingt das Vibrato nach Hochspannung, und auf die delikaten piani der Mittellage wartet man vergeblich. Das gefürchtete hohe C erreicht er oft und sicher - aber nicht mit allerletzter Leichtigkeit. Aber das kann ja noch kommen.

"Die Stimme verändert sich beständig, genau wie der Körper", sagt Grigolo. Sein Tonfall wird lebhafter, mitten im Satz greift er nach dem Aufnahmegerät. "Heute kann ich die Arien des Manrico aus Verdis Troubador singen. Eines Tages habe ich vielleicht auch die Kraft für die ganze Rolle. Wenn die Stimme sich in die richtige Richtung entwickelt." Dafür arbeitet er hart mit seinem lebenslangen Lehrer Danilo Rigosa - und er macht Yoga. "Man muss seine Kräfte gut einteilen. Ich weiß, wann ich eine Pause brauche."

Einen B-Plan hat Vittorio Grigolo nie gehabt. Als kleiner Junge schon wusste er, im toskanischen Arezzo geboren und in Rom aufgewachsen, dass er es einst den "Drei Tenören" gleichtun wollte. Die hörte er mit der Familie bei Autoreisen auf Kassette. "Meine Familie hat immer gesagt, du wirst Sänger. Sie haben an mich geglaubt. Meine Mutter hat einfach alles für mich getan."

Fehlte zum Klischeebild des Italieners nur noch, dass Vittorio Grigolo heute noch bei Muttern in Rom wohnte. Das tut er zwar nicht, er lebt mit seiner Frau, einer Amerikanerin, in Zürich. Aber sein Zugang zur Musik ist so italienisch unbekümmert und frei von jedem Grübeln, dass skrupulösere Kollegen nur blass werden können vor Neid. Quellenstudium liegt ihm fern, Phrasierung und Klanggebung sind für ihn eine Frage der Lebenserfahrung: "Mit 33 Jahren habe ich genug Erfahrung mit der Liebe, um von ihr zu singen. Die Liebe ist meine Inspirationsquelle." Da trifft es sich doch, dass die Tenöre in Belcanto-Opern meist junge und obendrein verliebte Männer zu verkörpern haben.

Gefragt, ob er mal übers Modeln nachgedacht habe, für Armani etwa, stutzt Grigolo: "Nein. Das könnte ich nicht. Obwohl - warum nicht? Armani gefällt mir." Seine Arme hat er jetzt auf der Lehne des Ledersofas ausgebreitet und nimmt beim Reden hin und wieder Blickkontakt auf. Da steht schon das Taxi zum Flughafen vorm Hoteleingang. "Kommen Sie doch, wenn ich meine neue Wäschekollektion präsentiere!", ruft er zum Abschied und lacht.

Am nächsten Morgen hat Grigolo einen Fernsehauftritt in London - als Sänger, versteht sich. Das Karussell dreht sich weiter.

Vittorio Grigolo singt am 15. Januar 2011 um 20 Uhr in der Laeiszhalle. Karten gibt es schon jetzt unter der Telefonnummer 45 33 26.