Im Liederabend “Thalia Kantine“ singt sich das Ensemble durch eine beliebige Hitsammlung

Thalia-Theater. Liederabende stehen beim Theaterpublikum hoch im Kurs. Und, ja, sie gelten auch nach all den dramatischen Zustandsbeschreibungen auf dem Spielplan als kuscheliges Versöhnungsangebot an die Abonnenten. Die eigentlichen Dramen finden im Theater sowieso unter dem Bühnenboden statt. In der Kantine. Zumindest in jener, die Michael Köpke in Alia Luques Liederabend "Thalia Kantine" originalgetreu auf die Bühne am Alstertor gestemmt hat. An diesem Mittwoch ist die Inszenierung erneut im Thalia-Theater zu sehen.

Hier geschieht all das, was sich der gemeine Theatergänger in seiner Fantasie über Künstlerexistenzen so ausmalt. Die tobende Diva (Lisa Hagmeister) wirft mit Gläsern und deren Inhalt um sich. Der Ensemble-Filou (Alexander Simon) greift ihr an die langen Beine und kassiert eine Ohrfeige. Man küsst sich, man schlägt sich, man verträgt sich. Und hinterher raucht man eine Friedenszigarette.

Einer, der von all dem ein Lied singen kann, ist Peter Maertens, seit 50 Jahren im Thalia-Ensemble. Dienstältester. Er weiß noch von der Wiedereröffnung des Theaters nach dem Zweiten Weltkrieg zu berichten. Erster Intendant war schließlich sein Vater Willy Maertens, der von 1946 bis 1964 das Haus am Alstertor leitete.

Bei einem gemütlichen Bierchen erzählt er einer geduldigen Thekenkraft (Marina Wandruszka) allerlei Anekdoten, Erhebendes, Bestürzendes und Komisches aus der Theaterhistorie. Durch insgesamt sieben Intendanzen memoriert er sich. Angefangen beim Unterhaltungstheater des schillernden Boy Gobert bis zur turbulenten Uraufführung von Bob Wilsons und Tom Waits' "Black Rider" unter Jürgen Flimm. "Intendanten kommen und gehen. Aber die starken Spieler bleiben bestehen", resümiert Maertens.

Starke Spieler hat auch das derzeitige Ensemble unter Intendant Joachim Lux vorzuweisen. Mit hoch toupierten Haaren und jeder Menge Sixties-Zeitkolorit aus dem Vintage-Shop aufgehübscht, tastet es sich in Zeitlupe durch die Stuhlreihen. Summt und brummt ordentlich vor sich hin. Auch dieser Liederabend kommt nicht ohne Zitate an die ironisierende Langsamkeit und das Volkstümelnde eines Christoph Marthaler aus. Dann wird meist direkt von der Rampe her gesungen. Mal Melodramatisches ("Wir wollen niemals auseinandergehen"), mal anerkannt Fetziges ("Happy Together") aus den Annalen des Pop. Von den Bee Gees bis Madonna. Das Ensemble bewältigt das wie immer stimmgewaltig und mit Verve. Die größte Arbeit hat hier zweifellos Kostümbildnerin Pauline Hüners geleistet, die von 70er-Jahre-Rüschenhemden bis 80er-Jahre-Schulterpolsterdramatik Schnittiges auffährt.

Inhaltlich bleibt der Abend abgesehen von Maertens' Erinnerungsdramaturgie eher piepsstimmig. Manches Mal hätte man den Darstellern einen gehaltvollen Satz mehr gewünscht, aber die Rahmenhandlung soll die Songcollage notdürftig zusammenhalten. Relativ willkürlich werden die Songs mal szenisch eingeleitet und mal nicht.

Was in den 60er-Jahren noch originell anmutet, nutzt sich allerdings in der Wiederholung der 70er-Jahre ab. Spätestens mit dem pumpenden Disco-Sound der 80er-Jahre wird dieser Kessel Musikalisches beliebig bis öde. Ohnehin sind Musik und Szenen zeitlich voneinander abgekoppelt. Der Sound wird vom Live-Keyboard an der Theke zugeorgelt, arrangiert vom musikalischen Leiter Mark Badur.

Für kurze aufrüttelnde Momente sorgt ein Darsteller in Ritterrüstung, der quer durch die Jahrzehnte versucht, sich ein Bier ins offene Visier zu schütten. Aber ein Kalauer macht eben noch keinen Liederabend.

Thalia Kantine. Eine musikalische Zeitreise durch fünf Jahrzehnte: Mi 20.10., 20.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor, Karten 7,- bis 35,- unter T. 32 81 44 44 oder unter www.thalia-theater.de