Gordon Gekko ist wieder da und mit ihm Volker Brandt, der Michael Douglas in der deutschen Synchronisation seine unverwechselbar fiese Stimme leiht. Und das seit 40 Jahren. In dieser Woche läuft “Wall Street 2“ an

Der Mann im Halbdunkel breitet die Arme aus. "Sind denn hier alle verrückt geworden?" Es ist keine Frage, es ist eine Feststellung, druckvoll vorgetragen, mit gebieterischem Ton. Die Frau im Regieraum hinter der Glasscheibe nickt, der vorletzte Take von "Wall Street - Geld schläft nicht" ist im Kasten. Und Volker Brandt, so heißt der Mann in der heruntergekühlten Kabine im Berliner Film & Fernseh-Synchronstudie, holt tief Luft, um dem genialen "Wall Street"-Fiesling Gordon Gekko noch einmal all die gottgegebene Arroganz einzuhauchen, die den Menschen später im Kino eine Gänsehaut auf die Unterarme zaubern wird. Brandt ist seit 40 Jahren die Synchronstimme von Michael Douglas, einer der prominentesten deutschen Sprecher.

Vier Tage lang stand er je acht Stunden im Studio, hat 300 Takes eingesprochen. Seine Aufgabe: Douglas' Sätze möglichst perfekt zu treffen - und dabei den ureigenen Brandtschen Tonfall einzubringen, der sich dem deutschen Publikum seit dem Seriendauerbrenner "Die Straßen von San Francisco" im Kopf festgesetzt hat wie ein besonders hartnäckiger Ohrwurm. Synchronsprecher ist ein seltsamer Beruf. Man ist bekannt und gleichzeitig nicht. Man darf nicht man selbst sein und muss doch eine unverwechselbare Identität besitzen. Wer austauschbar klingt, wird ausgetauscht in diesem Geschäft.

Brandts akustische Identität ist: leicht heiser und samtig. Eine Whiskystimme, die ans Lagerfeuer gehört, aber jeden Anflug von Pathos vermissen lässt. Unverhofft kann sie Kälte beschwören; wer nicht rechtzeitig in Deckung geht, wird von den gemeißelten Sätzen dahingestreckt. Dabei sieht der einst am Hamburger Schauspielhaus und dem Berliner Schillertheater engagierte Brandt mit seinen grauen Locken und der gebräunten Haut aus wie ein freundlicher Kapitän. Kein Wunder: Er fuhr bereits als Traumschiffpassagier über die Meere und operierte in der Schwarzwaldklinik.

Brandt hat an diesem Tag nur ein paar Kekse gegessen, weil mit vollem Bauch nicht gut sprechen ist, wenn es auf Feinheiten wie einzelne Oktavenschritte ankommt. Er hat Pausenschlaf auf einer Sofabank gehalten, weil er zu jedem Zeitpunkt und überall schlafen kann. Was klar wird an diesem Nachmittag in Berlin: Ein Synchronstudio ist kein Hollywood-Set. Und Sprecher wie Volker Brandt sind keine Stars. Sie sind Ein-Mann-Existenzen, die mit Manuskript und Mikrofon ringen.

Wer mit Leuten spricht, die den Beruf ernst nehmen, versteht: Synchronisieren ist körperliche und geistige Anstrengung. Das sagt Volker Brandt, das sagen auch seine Kollegen Hansi Jochmann und Christian Brückner. Die eine spielt an der Seite von Ottfried Fischer in der ARD-Serie "Pfarrer Braun" und spricht seit mehr als 30 Jahren Jodie Foster, der andere all jene Männerrollen, die man gemeinhin als "echte Kerle" bezeichnet. Frauentypen und einsame Leinwandlöwen wie Warren Beatty, Harvey Keitel, Marlon Brando und Alain Delon. Und vorneweg: Robert De Niro. Dessen Rollen, sagt Brückner, verlangten ihm als Sprecher am meisten ab. Weil sie Menschen in den Mittelpunkt rückten, die sich aufblättern: "In dem Fall muss man auch selbst die Hosen runterlassen. Einfach einen Bühnenton anschlagen reicht nicht."

Wenn Volker Brandt alias Gordon Gekko von "100 Millionen Dollar" spricht, steckt in diesen wenigen Worten all die rücksichtslose Gier des Mannes, der für Geld die Schwiegermutter auf die Straße setzen würde. Innerhalb eines Halbsatzes kann er zwischen lockender Zärtlichkeit und Zynismus wechseln. Drohungen macht er nicht dadurch gefährlicher, dass er laut wird, sondern einen Flüsterton anschlägt.

Gemeinsam ist den Sprechern Brandt, Brückner und Jochmann, dass sie die Pause schätzen. Sie wissen: Erst die Pause an der richtigen Stelle verleiht dem Satz seine Wirkung. Vielleicht ist sie ihnen aber auch sympathisch, weil es sich mit der Pause ähnlich verhält wie mit dem gemeinen Synchronsprecher: Man sieht sie nicht, unterschätzt sie, dabei geht es nicht ohne sie. Pausen und Synchronsprecher sind die Stiefkinder des Kinos.

Wer kennt das Gefühl nicht vor dem Fernseher: dass eine andere Stimme aus einem alten Bekannten einen fremden Menschen macht. So geschehen bei Charles Bronson, der plötzlich nicht mehr klang wie der markante Michael Chevalier, sondern wie jemand, dem man nicht so recht über den Weg traute. Wie sehr die Leute tatsächlich zuhören, wie stark sie einen bestimmten Tonfall verinnerlichen, erlebt Christian Brückner "andauernd". Seine leicht heisere, maskuline, brüchige Stimme dürfte die bekannteste in Deutschland sein - auch dank zahlreicher Hörspiele, Lesungen, Dokumentarfilme. "Christian Brückner liest" ist ein Verkaufsargument. Hansi Jochmann wird regelmäßig auf ihr stimmliches Alter Ego angesprochen, wenn ihr zugleich erotisch und distanziert klingendes Timbre durch den Raum schwebt, im Restaurant, im Taxi, am Bankschalter: "Wissen Sie eigentlich, dass sie genau dieselbe Stimme haben wie Jodie Foster?"

Es sind rare Starmomente im Leben von Brückner, Brandt und Jochmann, die keinen Leibwächter brauchen. Sie sind Handwerker, ihr Werkzeug ist die Stimme. Dass sie auf ihre Art auch Künstler sind, entzieht sich der Kenntnis der meisten. Dabei ist der deutsche Synchronmarkt einer der weltweit wichtigsten. Wo etwa portugiesische und schwedische Kinder mit den Originalstimmen der Schauspieler aufwachsen - sei es im Kino oder im Fernsehen - macht sich hierzulande die teure Synchronisation bezahlt.

Christian Brückner redet viel von Imagination, während seine Worte wie Sirup durch die Telefonleitung sickern und beim Gesprächspartner jeden Anflug von Montagmorgenmüdigkeit vertreiben. Es gibt kein Gegenüber im Aufnahmestudio, das man anspielen kann. Jede Liebesszene, jeder Streit entsteht in der Vorstellung - und darf nicht weniger intensiv sein, als es die Schauspieler nach stundenlangen Proben und mithilfe eines tatkräftigen Partners im Original vorgemacht haben. Der verstorbene Arnold Marquis, einer der größten deutschen Sprecher, der unter anderem John Wayne seine Stimme lieh, sagte während der gemeinsamen Synchronisation der Westernserie "High Chaparral" zu Brückner: "Junge, keiner kann sich vorstellen, was es an schauspielerischer Fantasie braucht, jetzt durch die Wüste zu robben."

Im Schneideraum, sagt man, entstehe ein Film noch mal neu. Im Synchronstudio bekommt er seinen Stempel verpasst. Seinen individuellen Klang. Wer den Beruf ausübt, ernsthaft ausübt, redet nicht vom Synchron sprecher , sondern vom Synchron spieler . "Was meine Kollegin Jodie Foster auf der Leinwand spielt, spiele ich vor der Leinwand in meiner Sprache nach", sagt Hansi Jochmann. Wildes Armerudern und Fäusteballen sind deshalb unverzichtbar, wenn es lebendig klingen soll. Lebendigkeit kann nur entstehen, wenn die Sprecher sich nicht sklavisch ans Manuskript halten, nicht zu vorbereitet ins Studio gehen. Um es mit Christian Brückner zu sagen: "Das Eigentliche entsteht im Augenblick."

Wie aber wird man die Stimme eines Hollywoodstars? Brückner spricht den deutschen Robert De Niro seit dem Klassiker "Taxi Driver" aus dem Jahr 1976, ebenso wie Hansi Jochmann die deutsche Jodie Foster. Regisseur Martin Scorsese hatte sich Brückner gewünscht, der ihm stimmverwandt mit De Niro schien. Die damals 23 Jahre alte Hansi Jochmann, die bereits im Alter von sechs Jahren der Tochter von Cary Grant in der Komödie "Hausboot" ihre Stimme lieh, sprang kurzfristig ein, weil niemand hierzulande aufzutreiben war, der das altkluge, hoffnungslos verlorene "Taxi Driver"-Straßenmädchen überzeugend vertonen konnte.

Damals war Jodie Foster noch nicht Jodie Foster, sondern allenfalls ein Talent, auch Robert De Niro fing gerade erst an, sich einen Namen zu machen. Dass sie heute in Deutschland Stars sind, verdanken sie ein klein wenig auch ihren Sprechern Brückner und Jochmann. "Das ist die weltweit beste Stimme, die ich jemals auf dir gehört habe, Jodie", lobte Fosters Mutter Jochmanns Arbeit, nachdem sie im Kino einen deutschen Trailer gesehen hatte.

Was für Geschichten kursieren nicht alle um diesen Beruf - so viele, dass schon allein ihre Anzahl deutlich macht, wie sehr Stimmen die Fantasie der Kinogänger beschäftigen. Es gibt jene Geschichte von Otto Waalkes, der in "Ice Age" das Faultier Sid so überzeugend sprach, dass die Bewegungen der Figur in den Fortsetzungen am Klang seiner Stimme ausgerichtet wurden. Volker Brandt hat in den vergangenen Tagen in Berlin alles drangesetzt, dem Original so nah wie möglich zu kommen - und es auf seine Art vielleicht einen Tick besser zu machen.

"Wall Street - Geld schläft nicht" ist ein Film ohne Happy End. Wenn der deutsche Zuschauer in dieser Woche aus dem Kino geht, wird er den Fiesling Gordon Gekko mit seinem streng zurückgekämmten Haar vor Augen behalten - und mit ihm den Mann, der ihm sein Gesicht leiht: Michael Douglas, Hollywoodstar. Noch mehr als das Gesicht aber wird sich die Stimme in ihre Köpfe eingebrannt haben. Die Stimme von Volker Brandt, die so viel bekannter ist als der Mann hinter ihr. Seine Stimme ist der Star.