Mit der ehemaligen Gefängniswärterin Sharon Jones und ihrer Band The Dap-Kings kommt großartiger Soul in das Hamburger Gruenspan.

Geschichten hat sie viele gehört in ihrem Leben. Von familiärer Gewalt und Armut. Von vermasselten Drogendeals. Und davon, wie schnell man auf die schiefe Bahn kommen kann. Sharon Jones arbeitete viele Jahre als Vollzugsbeamtin auf Rikers Island. Die Knastinsel liegt in New York mitten im East River und ist das größte Gefängnis der Welt. Fast 90 Prozent der 15 000 Insassen sind Afroamerikaner oder Hispanics, hier sitzen hartgesottene Mörder genauso ein wie kleine Straßendealer. Rikers Island ist ein Ort, an dem die Misere der Afroamerikaner und anderer Randgruppen sichtbar wird, Menschen, von denen viele nie eine Chance im Leben hatten, weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft ausgegrenzt wurden und die deshalb in die Kriminalität abgerutscht sind.

Solche Schicksale sind immer das Thema von Blues und Soul gewesen. Auch in den Songs von Sharon Jones tauchen sie auf. Wie in "Money" zum Beispiel. "Ich habe geschuftet wie ein Maultier", heißt es da, "doch ich bin hungrig und müde und Geld ist keins da." Doch einen größeren Stellenwert in den Liedern der 1956 in Augusta/Georgia geborenen Sängerin nimmt die Liebe ein. Zweisamkeit, Geborgenheit und die Lust auf einen Mann oder eine Frau stehen gegen die raue Wirklichkeit, die in den Songs afroamerikanischer Künstler, egal ob sie sich im Blues, in Soul oder Hip-Hop ausdrücken, als kalte Welt wahrgenommen wird. Die Liebe, so schwierig sie manchmal auch sein mag, ist etwas, an das man sich klammern kann. Und sie ist umsonst.

Dass Sharon Jones überhaupt noch einmal Gesangskarriere machen würde, war Zufall. Nach ihrer Zeit auf Rikers Island arbeitete die inzwischen 54 Jahre alte Amerikanerin als Wachfrau für das Geldtransportunternehmen Wells Fargo. Doch 1996 war sie als Backgroundsängerin bei einer Session mit dem Soul-Veteranen Lee Fields dabei. Organisiert wurde die Session von Gabriel Roth und Philip Lehman, zwei französischen Produzenten und Label-Besitzern. Beide waren so begeistert von Sharon Jones' Performance, dass sie sofort einen Solotrack mit ihr aufnahmen. Plötzlich war die seit früher Jugend in New York lebende Sängerin mittendrin im Geschäft. Etliche Plattenveröffentlichungen folgten, seit 2002 ist sie mit den Dap-Kings unterwegs und hat seither vier Alben aufgenommen. Hierzulande ist Sharon Jones im Jahr 2007 mit dem Titelsong ihres Albums "100 Days, 100 Nights" bekannt geworden In diesem Jahr erschien "I Learned The Hard Way".

Die Sängerin, die in den frühen 70er-Jahren bei einer Reihe von Nachwuchs-Shows versucht hat, einen Solovertrag zu ergattern, scheint genau zum richtigen Zeitpunkt ihre späte Karriere gestartet zu haben. Mitte der 70er-Jahre ging es mit Soul bergab, Disco war plötzlich schwer angesagt, keine Chance also für das junge Mädchen, Karriere zu machen. Doch im Moment stehen die Chancen für Southern Soul prächtig, wie er in den 60er-Jahren in Memphis kreiert wurde und in Otis Redding, Aretha Franklin und natürlich in James Brown seine großen Stars hatte. In den Vereinigten Staaten gibt es gerade ein riesiges Soul-Revival.

Die Klubs von New York sind bevölkert von meist sieben- bis achtköpfigen Kapellen inklusive einer Bläserabteilung, die im gleichen Stil musizieren wie die Bands mehr als 40 Jahre zuvor. Hip-Hop spielt zumindest in den New Yorker Clubs im Moment so gut wie keine Rolle mehr, aber in Brooklyn und Manhattan gibt es ein riesiges Angebot an Konzerten mit Nachfahren jener Sänger, die in den Sechzigern auf Stax und anderen unabhängigen Labels den Soul populär machten.

Überhaupt scheint diese seelenvolle Musik nicht nur in den USA, sondern auch in Großbritannien wieder mehr und mehr Anhänger zu gewinnen. Den Anfang machte Amy Winehouse, andere weiße Sängerinnen wie Adele oder Duffy folgten und jetzt gibt es einen jungen blassen Sänger namens Ben Drew, der mit seinem Projekt Plan B und dem Album "The Defamation Of Strickland Banks" Platz 1 der UK-Charts erreichte. Mit dem Gesetz ist Drew auch schon in Konflikt gekommen. Es scheint, als sei der Knast ein guter Ort, um böse Erfahrungen in Songs umzusetzen.

Sharon Jones & The Dap-Kings Mi 20.10., 20.00, verlegt aus der Großen Freiheit 36 ins Gruenspan (S Reeperbahn), Große Freiheit 58; Karten zu 35,30 im Vvk.; www.sharonjonesandthedapkings.com