Der Franzose Mathias Énard liest im Literaturhaus aus “Zone“

Literaturhaus. Wer etwas über den Krieg lesen will, diesen Vater aller Dinge, der wird in diesen Wochen reichlich bedient: mit Jüngers Kriegstagebuch etwa oder dem Afghanistan-Kriegsheimkehrerbuch "Deutscher Sohn". Aus Frankreich stammt der dicke, vielleicht zu dicke Roman "Zone", sein Autor ist Mathias Énard. Vor ein paar Jahren war er ein preisgekröntes Ereignis im Nachbarland, die Übertragung von Holger Fock und Sabine Müller zeigt nun dem deutschen Publikum, warum dem so war.

"Zone" ist ein stürmischer, wirbelnder Monolog über das gewaltige und gewalttätige 20. Jahrhundert, in dem alle Ereignisse mit allen anderen Ereignissen zusammenhängen, und alle sind kriegerischer Natur. Der Bekenntnis-Text eines Kroatien-Söldners und Nahost-Agenten: Francis Mirkovic alias Yvan Deroy sitzt im Zug und fährt von Mailand nach Rom, er hat einen Koffer dabei. Voller Dokumente, Beweisstücke, Fotos. Sie dokumentieren die Verbrechen von Kriegstreibern, Waffenhändlern und Terroristen. Mirkovic will den Koffer an den Vatikan verkaufen und dann ein neues Leben anfangen.

Was für eines das sein soll, fragt man sich und kann nicht glauben, dass der Gedankenoverkill, das Gedankeninferno des wild assoziierenden Denkers wirklich eine Katharsis ist. Die Kaputtheit der Welt ist die Kaputtheit dieses Mannes, der aus seinem Leben erzählt, als wäre es ein Schlachtfeld. Der Vater folterte im Algerienkrieg, die Mutter stammt aus Kroatien, sie erinnerte ihn stets daran: Du hast zwei Nationalitäten, du kannst zweimal stolz sein. Und so zieht Kroatiens Sohn in den Krieg, er sieht Freunde sterben, er ist Achilles, nicht Hector. Er überlebt, er ist "ein Monster an Egoismus und Einsamkeit", das von Frauen verlassen wird, trinkt und Amphetamine nimmt. Énard wollte ein "zeitgenössisches" Epos schreiben, Homers "Ilias" fegt durch den Text (diese intertextuelle Referenz bemühte zuletzt auch der Berliner Thomas Lehr). Die Sätze des in einem schmutzigen Leben, in einer schmutzigen Welt mäandernden Mirkovic rattern im Rhythmus des Zuges.

Für den Erzähler ist überall die "Zone" (der Titel ist einem Apollinaire-Gedicht entlehnt), sein Epos, das er ausgreifend schreibt, ein Becken, das die Geschichte auffängt (mit ihren realen Geschehnissen und Figuren) und sich auch in den Biografien William S. Burroughs' und Malcolm Lowrys bedient: "Zone" ist ein delirierendes Buch über das Schlechte. Er könnte das alles hier auch seinem Psychiater erzählen, aber streng genommen gilt das für alle Erzähler.

Mathias Énard, Jahrgang 1972, ist Arabischlehrer in Barcelona, er ist weit gereist. Und so kann er den Leser bildmächtig und literarisch gekonnt in einen Strudel reißen, ohne freilich eine humane Aussage zu treffen: Krieg ist schlecht, klar, aber warum wird ihm so wenig Positives entgegengesetzt? Der Mensch ist des Menschen Wolf, das hat schon einmal jemand gesagt. Énard handelt nur darüber, er tut es manisch.

Mathias Énard: Zone. Berlin Verlag. 588 S., 28 Euro. Lesung: 14.10., 20.00 Literaturhaus. Eintritt 8,-/6,-/4,-