Die Deichtorhallen zeigen den dänischen Künstler Poul Gernes - ein retrospektiver Rundumschlag

Deichtorhallen. Wenn Künstler Künstler vorstellen, kann daraus Großes werden. Wie im Falle des Dänen Poul Gernes (1925-1996), den vor neun Jahren die Kölner Künstlerin Cosima von Bonin in Hamburg präsentierte. Damals wie heute war Gernes nur wenigen bekannt. Der Avantgardist mit nicht-elitären Ambitionen hatte ein Krankenhaus und ein Gefängnis gestaltet, Zielscheibenbilder entworfen und seine Liebe zu Schiffen in Form zahlreicher Boote kundgetan. Doch nachdem die vergangene Documenta einzelne Werke zeigte, holen die Deichtorhallen jetzt zum retrospektiven Rundumschlag aus. Mit rund 400 Exponaten zeigen sie erstmals einen repräsentativen Querschnitt durch das Gesamtwerk von Poul, dem Bruder, wie er sich selbst nannte. "Ausgelassen, anarchisch, ausschweifend, fröhlich, folkloristisch, funky, psychedelisch", mit diesen Adjektiven beschreibt Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen und Kurator der Ausstellung, das Werk von Gernes. Ohne die konstruktive Nähe zu architektonischen Kunsttraditionen wie der des Bauhauses zu vergessen.

"Seit einigen Jahren verlange ich von meiner Kunst, meinen Mitmenschen Freude zu bereiten und nicht zu einem ästhetischen Egotrip zu werden", bekannte Gernes im Jahr 1985. Das waren Worte eines Künstlers, der sich seinen Weg dorthin selbst erkämpfte. Ganz klassisch beginnt er in den 40er-Jahren mit akademischen Zeichnungen und spätimpressionistischen Versuchen, die aber schon bald der Zeitgeist einholt. Die Gegenstände lässt Poul Gernes nun zugunsten der Abstraktion zurück. Jetzt rückt die Farbe in den Mittelpunkt. Grafisch anspruchsvolle, mit geometrischen Linien gefüllte Blätter sind das Ergebnis seiner Modernisierung.

Was folgt, ist eine Art Auszeit, in der Gernes unter anderem Möbel entwirft. Das Siegel "skandinavisches Design" könnte man diesen in Form, Material und Farbe minimalistischen Möbeln problemlos verleihen. Auch für Gernes dürften die wilden 60er-Jahre seine wilden gewesen sein. Zusammen mit dem Kunsthistoriker Troels Andersen gründet er in Kopenhagen die radikale Experimental Art School, die Eks-skolen. Ihre Schüler waren unter anderem so bekannte Künstler wie Per Kirkeby oder Bjørn Nørgaard. Fluxus, Rebellentum, Pop-Artiges und Neo-Dadaismen - das sind die Themen der Zeit. Poul Gernes experimentiert mit öffentlichen Duschen oder lässt den Allerwertesten seiner Models wie Kinder ihre Nasen an Glasscheiben plattdrücken.

Spätestens in den 60er-Jahren entdeckt Gernes die Kraft der Farbe. Eine Obstschachtel bemalt er mit reinen, voneinander getrennten Farben. Erste Spiralbilder entstehen, die später von seinen bekanntesten Bildern, den Zielscheibenbildern, abgelöst werden. Formal ähneln letztere zwar bekannten Pop-Art-Ikonen wie die eines Jasper Johns. Doch Gernes fertigt sie seriell an, gebraucht Spanplatten als Grund und industrielle Farbe. Der Künstler favorisiert die reine, flächige Farbe, die ligne claire, die ihn einmal auch dazu bringt, die Tim-und-Struppi-Comics von Hergé mit auszustellen. Vor allem aber denkt und gestaltet Gernes in Räumen, überwiegend öffentlichen statt in einzelnen Bildern.

Die Farben, in den Worten Gernes die "visuellen Vitamine", sollen mehr als nur dekorieren. Sein Wunsch, und damit findet er sich in bester Künstlergesellschaft wieder, ist sein Glaube, den Menschen mittels farblich gestalteter Räume positiv zu beeinflussen. Seit Ende der 60er-Jahre hat Gernes folgerichtig in Dänemark, aber auch in Deutschland etliche Gebäude in dreidimensionale Gemälde verwandelt. Hier finden sich seine elementaren Muster wie Kreise, Zahlen, Streifen, aber auch florale und archaische Ornamente wieder. Den nachweislich einst farbig gestalteten griechischen Tempeln der Antike mit ihrem heidnischen Sinnesbekenntnis stehen sie in nichts nach.

Poul Gernes - Retrospektive Große Deichtorhalle (Schnellbus 34), Deichtorstraße 1-2. Die Retrospektive läuft von heute bis zum 16. Januar 2011, Sa + So jeweils um 16.00 gibt es Führungen durch die Ausstellung. Die öffentlichen Führungen sind im Eintrittspreis von 9,- enthalten. Die Dauer richtet sich nach den Bedürfnissen der jeweiligen Gruppe.