Volker Lechtenbrink brilliert als Hauptmann von Köpenick im Ernst-Deutsch-Theater

Hamburg. Die Uniform macht im Preußenstaat den Menschen. Etwa dreißig Kleiderpuppen besetzen das Zentrum von Achim Römers leerem Bühnenraum. Sie tragen Nummern auf bloßer Haut. Die gesichtlose Masse Mensch. Marionetten in einem Ordnungssystem. Doch bekommt der Nackte Kappe und Jacke eines Soldaten, weiß er, wo sein Platz ist: Befehlen oder unterordnen. Beides ist dem Sträfling Wilhelm Voigt verwehrt, also dreht er den Spieß um und nützt die Uniformhörigkeit aus. Im Soldatenrock verhaftet er den Bürgermeister von Köpenick und beschlagnahmt die Kasse. Eigentlich will er nichts als einen Pass, seine Ruhe und seine Freiheit. Der Coup schlägt fehl - und er wandert wieder in den Knast. Wer keinen Ausweis hat, bekommt keinen Aufenthalt und erst recht keine Arbeit.

"Wie du aussiehst, so wirst du auch angesehen", zu dieser bitteren Erkenntnis kommt Volker Lechtenbrink als Schuster Wilhelm Voigt. Im "Hauptmann von Köpenick" feierte er im Ernst-Deutsch-Theater einen großen Erfolg - zu dem auch Wolf-Dietrich Sprengers konsequente Regie beitrug.

Lechtenbrinks niedergedrückter, manchmal verwirrter Schuster Willem gerät als einzelner Mensch zwischen die anonymen Gruppen von Puppen und Zuschauern im Parkett. Gefangen in der "Behördenmühle" der sich drehenden Bühne, hört er Geräusche und Stimmen im Kopf - wie Franz Woyzeck. Lechtenbrink rückt mit dem Regisseur seine Interpretation des gedemütigten Außenseiters, für den es keinen Platz auf Erden gibt, in die Nähe dieser Büchner-Figur. Wie Woyzeck wird Voigt in der Gesellschaft herumgestoßen und missbraucht. Inmitten der mehr oder weniger komischen Parodien aufs Preußentum zeichnet Lechtenbrink eine grundehrliche Haut mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. In seinem direkten Tonfall lässt er Berlinerisch anklingen, gibt der Paraderolle Heinz Rühmanns jedoch eine desillusionierte Nüchternheit, wird nie sentimental im Gefühlsausdruck. Lechtenbrinks präzise nuancierte Glanzleistung bleibt unaufdringlich und erhält beim Schlussapplaus zur Recht viele Bravos.

Wolf-Dietrich Sprenger setzt nicht aufs deftige Volksstück mit dem possenhaften Milieucharakter der "Köpenickiade". Er inszeniert zu Christoph Iaconos Soundtrack eher in Moll, unterbrochen von den schrillen Misstönen der brüllenden Militaristen. Sie wirken im Gegensatz zum bescheidenen, menschlichen Voigt wie holzschnittartig flache Karikaturen. Voigts kantige Schwester (Jessica Kosmalla) marschiert wie aufgezogen über die Bühne, zeigt nur etwas gefühlige Enttäuschung, als ihr Mann (ein bis in die Knochen korrekter Magistratsbeamter: Günter Schaupp) nicht befördert wird. Auch Maria Hartmanns Frau Obermüller hätte am liebsten selbst die Uniformhosen an.

Carl Zuckmayers "deutsches Märchen" präsentiert Wolf-Dietrich Sprenger als dunkle, mit satirisch scharfem Witz aufgehellte Parabel über das Zerbrechen eines sozial Ausgestoßenen. Seine straffe, die Szenen mit wenigen Requisiten rasch abspulende Inszenierung erhält ihre Spannung aus dem Kontrast zwischen Individuum und der konformistischen Gruppe - plastisch und suggestiv gespiegelt in Achim Römers skulpturaler Bühneninstallation.

Der Hauptmann von Köpenick bis 13.11., Ernst-Deutsch-Theater, Karten in allen Hamburger Abendblatt-Ticketshops und unter der Hotline T. 040-30 30 98 98; www.ernst-deutsch-theater.de