Ingrid Betancourt erzählt von sechs Jahren Geiselhaft und der Frage, wie man Mensch bleibt

Hamburg. 2321 Tage zeigte der Zähler unter ihrem riesigen Konterfei, das am Pariser Rathaus an das Schicksal der Geisel Ingrid Betancourt im fernen Kolumbien erinnerte. Sechs Jahre lang wurde sie von den linksradikalen FARC-Rebellen im Dschungel festgehalten, wurde gequält, auf ständigen Gewaltmärschen geschunden, gedemütigt. Erst im Juli 2008 gelang es der kolumbianischen Armee, die Franko-Kolumbianerin zusammen mit anderen Geiseln zu befreien. Und seither ist eine Schlammschlacht um sie entbrannt.

Starallüren habe sie entfaltet, warfen ihr andere Geiseln vor. Sie habe eine Vorzugsbehandlung beansprucht. Muss eine junge, ehrgeizige Politikerin, behütetes Wohlstandskind und erste Präsidentschaftskandidatin ihres Landes, auch unter unbarmherzigsten Bedingungen vorbildhaft und fürsorglich sein? Oder darf sie mit allen Mitteln ums Überleben, um den Erhalt ihres Selbst kämpfen?

Ihre Kritiker straft Betancourt nun in ihrem Buch Lügen. In "Kein Schweigen, das nicht endet" (Droemer, 22,99 Euro) beschreibt Betancourt das Leben im feuchtheißen Halbdämmer des Dschungels unter primitivsten Umständen. Sie schreibt über den Lagerkoller, über ihre Bewacher, die Versuchung, sich aufzugeben. Für Fluchtversuche wird sie hart bestraft. "Die Entführer wollten nicht, dass wir uns solidarisieren, sie wollten verzweifelte Einzelne", sagt sie. In den sechs Jahren wurden ihre Kinder erwachsen, ihr Vater starb, ihr Mann verließ sie. Geblieben ist ihr nichts - außer der Freiheit. Die Lesung am Sonntag in der Buchhandlung Heymann ist ausverkauft. Wer Ingrid Betancourt trotzdem sehen möchte, kann das am Montag bei "Beckmann" (ARD, 22.45 Uhr) tun.