Einst hörte er das Gras wachsen, nun ist er überflüssig. Ein Nachruf auf die Gesellschaftsfigur des Hipsters, den niemand mehr braucht

Hamburg. In Christian Krachts Roman "Faserland" gibt es eine Szene, in der Matthias Horx auftritt, er schlägt den krisengeschüttelten Ich-Erzähler in die Flucht. Dem fallen ein paar schöne Sätze zu dem guten Mann ein: "Dieser Horx ist so ein Trendforscher aus Hamburg, muss man dazu wissen, der sich immer und überall Notizen macht, und wenn ihm jemand wichtig oder irgendwie trendverdächtig genug ist, dann schreibt Horx auf, was dieser Mensch gesagt hat oder was für Anziehsachen anhat oder so. Der Horx ist immer in so schwarze wallende Mäntel gehüllt und hat ganz schütteres langes weißes Haar, und er sieht tatsächlich haargenau so aus wie der irre Wanderprediger in dem Film Poltergeist 2."

Der Trend-, der Zukunftsforscher als Schreckgespenst, so soll es sein. Die heruntergekommene "Zukunftsforschung", was immer das auch eigentlich sein soll, spiegelt sich in dem Verschwinden Matthias Horx' selbst, denn ernst genommen wird er mit seinen Begriffserfindungen, mit denen er sattsam bekannte Mode- und Sozio-Phänomene aufgreift und zusammenfasst, schon lange nicht mehr. Und wenn es etwas gibt, das diesen Abschied einer irgendwann mal leuchtenden Seher-Branche verdeutlicht, dann ist das die Nervosität des unsicheren Hipsters.

Der steht nämlich mittlerweile wie ein begossener Pudel im Schaukasten der postmodernen Gesellschaft. Wo er früher mal eine bewunderte Gestalt mit Deutungshoheit über kulturelle und geschmackliche Erscheinungen war, wird er jetzt entweder belächelt oder gar nicht mehr wahrgenommen. Der Hipster war und ist immer der, der das Gras wachsen hört und bestimmt, was die Gegenwart in ihrem Innersten ist. Er ist das, was man vereinfacht auch einen Trendsetter oder Kultur- und Freizeitavantgardisten nennen kann.

Der Hipster hat seinen Ursprung im Amerika der 1950er-Jahre, als (schwarze) Jazzer und (weiße) Beatliteraten sich als popkulturelle Avantgarde sahen. In der begrifflichen Ausprägung des letzten Jahrzehnts meint Hipster allerdings die in einer Figur gipfelnde Jagd nach den neuesten Moden, Entdeckungen und Geschmacksurteilen, die ihn immer als Ersten kennzeichnen. Der Hipster giert nach nichts so sehr wie nach Unterscheidung von der breiten Masse, und deshalb liest er die richtigen Bücher, hört die richtige Musik, trägt die richtigen Klamotten, schaut die richtigen Filme, isst die richtigen Speisen, nutzt die richtigen technischen Geräte. Und das immer als Erster.

Der Hipster ist der Early Adopter der kulturellen Leistungen und Hervorbringungen, und sein Begehren ist paradox: Er will in seinem Gutfinden einer bestimmten Sache alleine sein und doch wieder nicht. Denn wenn niemand ihn nachahmen will, verliert er seine Berechtigung.

Warum nun ist seine Zeit vorbei, und warum spielt er eine traurige Rolle? Weil es Texte gibt wie den von einem Song des neuen Arcade-Fire-Albums, er heißt "Rococo" und sagt Folgendes: "Let's go downtown and watch the modern kids/They will eat right of your hand/Using great big words they don't understand/they say: Rococo."

Ein gemeines Hipster-Bashing!

Die Hipster nehmen das Alte, und sei es der Rokokostil, und machen ihn zum neuen Hip. Dabei verstehen die Hipster noch nicht einmal, was es mit der historischen Bedeutung des Rokoko auf sich hat: Sie benutzen ihn nur als geschmackliches Distinktionsmerkmal. Der Song vernichtet sie, indem er all ihr Getue und den panischen Wechsel der Moden ad absurdum führt: "They build it up just to burn it back down."

Der Hipster von heute wählt aus und setzt zusammen, der Fundus all dessen, was schon mal da war, wird freilich immer größer. Die Moden und Stilrichtungen sind meist retro, und in der Rückwärtsgewandtheit ist man per se immer weniger originell. Die Moden werden (noch) flüchtiger, wo durch das Internet die Demokratisierung des Wissens besorgt wird.

"Bescheidwissen" ist wahlweise viel schwieriger oder leichter geworden, und jeder Hipster ist leicht widerlegbar. Man kann ihn verspotten, weil man dabei zuschaut, wie er rotiert, vergebens nach dem schnappt, was noch keiner hat oder jedenfalls: nicht ganz. Ganz abgesehen von der Schnelllebigkeit der Moden: Der Hipster wird eigentlich nicht mehr gebraucht, wo jeder die Fähigkeit hat, über ein paar Mausklicks auf die Wissensströme der Alltagskultur zuzugreifen.

Bescheid weiß heute derjenige, der den Geschmack der Zeit erkennt und ihn im Zweifel gleichzeitig verteidigen kann gegen den kapitalistischen Zugriff des Marktes. Denn der Hipster, der nach Norman Mailer mal jemand war, der durch allumfassende Informiertheit seinen Platz in der Gemeinschaft erkämpfte (der Schwarze in einer weiß geprägten Gesellschaft), wird heute mit einem riesigen kollektiven Gedächtnis aus kulturellen Zeichen konfrontiert. Und er ist den Zielgruppen-Erforschern und Marktbeobachtern der Werbung ausgeliefert, die ihn zum Kronzeugen ihrer Strategien machen. Der Hipster ist der Schlüssel zum Geld.

Älter kann ein Hut gar nicht sein, gewiss, aber es sei wieder einmal gesagt: Die Subkultur wird irgendwann kommerziell, und der Hipster spielt seine Rolle dabei wie ein trauriger Clown.

In seiner Eigenschaft als Stadtflaneur und Kulturkonsument ist er ein Nachfahre des Bohemiens, aber in Cafés gehen und palavern und den Gedanken nachhängen wird immer unkomfortabler, wenn die Leute einen nicht für einen Hipster, sondern Arbeitslosen halten. Und sollte man tatsächlich zum Kulturprekariat gehören, darf es einen nicht stören, dass die anderen in den 120-Quadratmeter-Altbauwohnungen leben. Dem Hipster bleibt nur, auf den ephemeren Moment zu hoffen, in dem er den anderen im großen, neuen Ding voraus ist und alle ihn noch einmal sehen als das, was er war: als den Trendsetter und Geschmackavantgardisten.

Darüber hinaus hilft ihm nur milde Melancholie und das Wissen darum, dass man immerhin bessere Klamotten trägt als der Nerd. Aber wer will eigentlich Gegenwart und Zukunft in seinen Geschmackentscheidungen bündig zusammenfassen, wo es ganz andere Möglichkeiten gibt? Zukunftsforschung im dritten Jahrtausend ist präzise, der amerikanische Schriftsteller Richard Powers hat seinen Blick in die Ferne schweifen und sein Genom entschlüsseln lassen. Jetzt weiß er Bescheid.