“Swanlights“ von Antony And The Johnsons ist eine in Kammermusik gegossene Jenseitsfantasie - und ein Meisterwerk

Hamburg. So schön kann das Jenseits klingen. Richtig einladend. Das Piano setzt mit ein paar zärtlichen Akkorden ein. Später kommen Geigen und souliges Blech hinzu. Und wenn Antony Hegartys Stimme zum Refrain "Everything Is New" anhebt ist es, als betrete man einen Himmel aus wattebauschigen Klängen voll lächelnder Fabelwesen. Und die Hölle? Kann es gar nicht geben. Der Wunderknabe aus New York mit der Kastraten-Stimme, die nicht so recht von dieser Welt scheint, hat mit seinem Projekt Antony And The Johnsons und dem Album "Swanlights" ein neues Meisterwerk vorgelegt.

Es ist eine Folk infiltrierte Kammeroper, die aufs Feinste inhaltlich an den todessehnsüchtigen, impressionistischen Vorgänger "The Crying Light" (2009) anknüpft. Kaum jemand hätte diesem Jungen mit dem Kindergesicht, der in der Schule lieber ein Mädchen sein wollte und in seinen Anfängen mit flatterndem Falsett von Bienen und Frieden sang, jemals diesen überwältigenden Erfolg vorausgesagt. Doch angefangen mit seinem Förderer Lou Reed kann sich die Popwelt der eleganten Traurigkeit von Antony And The Johnsons kaum entziehen. Es gibt derzeit nichts, was vergleichbar klänge. Seine Musik ist artifizieller, melodramatischer Pop in Vollendung. Mit seinem Spagat zwischen romantischer Weltflucht und Suche nach der Intensität des Augenblicks rührt er selbst Kammermusikfans.

Musikalisch ist "Swanlights" eingängiger als "The Crying Light", erinnert an die Zeiten des großen Mercury-Prize gekrönten Erfolges mit dem zweiten Album "I Am A Bird Now" (2005). Doch inhaltlich geht es um nicht weniger als den Tod, die Utopie von der Auflösung in der Natur, des Eingehens in das große Nichts, das Weltenmeer, "The Great White Ocean". Die Zurückgenommenheit und gleichzeitige Expressivität entwickelt eine zärtliche Wucht, die beim Zuhören schaudern lässt. Minuten später begegnet uns ein freundlicher "Ghost". Und wir bekommen eine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn das Unbegreifliche geschieht: "The Spirit Was Gone." Nur wohin? Das fragt sich derzeit wohl auch Antony Hegarty. Aber "It's Hard To Understand."

Trotz allem Moll und aller Düsternis ist Hegarty keineswegs ein Poet des Lebensüberdrusses. Zu seinen Widersprüchen gehört, dass er zunächst tief in das Nachtleben New Yorks mit seinen Kunststudenten, Drogensüchtigen, Transsexuellen und Prostituierten eintauchte, seine Homosexualität auslebte und Marc Almond und Boy George zu seinen Idolen erklärte. Mit dem Disco-Projekt Hercules And Love Affair und dem Song "Blind" landete er gar einen veritablen Chart-Hit. Er hat "Crazy In Love" von Beyoncé gecovert und mit Herbert Grönemeyer das Duett "Will I Ever Learn?" für dessen Best-Of-Album eingesungen. Ob dieser Bandbreite staunt man dann doch nicht schlecht.

Und so finden sich auf dem Album auch sehr diesseitige Liebeslieder wie "Thank You For Your Love". Feinnervig arrangiert von den Johnsons, die als fest installierte Band ja gar nicht existieren. Hier musizieren Songschreiber, Pianist und Sänger Antony, Violinist Maxim Moston, der isländische Komponist Nico Muhly, Lounge-Lizards-Gitarrist Doug Wieselman und Sufjan-Stevens-Mitstreiter Rob Moose.

Die isländische Sängerin Björk revanchiert sich für Hegartys Gastbeiträge auf ihrem Album "Volta" mit einem verwunschenen Duett im Song "Flétta" - auf Isländisch natürlich. Wie es die Natur vorsieht, schlägt auch Hegarty im letzten Akt seiner Kammeroper "Christina's Farm" glücklicherweise den Bogen wieder zum Neubeginn, zum Zauber, der jedem Anfang innewohnt: "Everything Was New/Every Sock And Shoe/My Face And Your Face/Tenderly Renewed." Schöner als mit seinen Liedern im Hintergrund kann man sich nicht von dieser Welt verabschieden.

Antony And The Johnsons: Swanlights, Rough Trade/Beggars Group (Indigo), ab heute im Handel; Internet: www.antonyandthejohnsons.com