Von Abschiedstourneen , die manchmal keine sind

Es war ein kalter Dezembertag im Jahr 2008, als ich mich mit dem Kollegen Josefowicz in den Fotoautomaten am Schulterblatt zwängte. Kurz vor dem Auftritt von Westernhagen in der Color-Line-Arena wollten wir noch unser "Marius-Gesicht" bildlich festhalten: Haare raufen, Finger in den Hals stecken. Was man halt so macht vor einem Moaaarius-Konzert. Wir fürchteten uns vor "Sexy", dem ungeschützten Parkbank-Sex unter den Partykeller-Hits. Und vor "Freiheit", der Zonen-Gaby ("meine erste Banane") unter den Wendezeit-Klassikern. Außerdem dachten wir doch 1999, den Westernhagen los zu sein, als er sich mit großem Open-Air-Pomp von 90 000 Hamburger Fans und von den Megabühnen verabschiedete. 2005 war er wieder da.

Abschied vom Abschied, ausgerechnet dieser Umstand verbindet Westernhagen mit Howard Carpendale, den der Marius vor einem Jahr mit deutlichen Worten in der "FAZ" bedachte: "Vor ein paar Jahren, beim Deutschen Filmpreis, lief Howard Carpendale da rum. Ich dachte mir: Das kann nicht sein, hier geht es doch um Kultur." Dabei hat auch Howie 2003 in der Rotz und Wasser flennenden Kölnarena seinen Rückzug sowohl von der Bühne als auch aus dem Tonstudio verkündet. Aber schon 2007 hieß es: "Heute geh ich. Komm ich wieder, singen wir ganz andere Lieder." Oder kurz und prägnant: "Hello Again". Zumindest ein Fan, eine gute Freundin von mir, ist bis heute tödlich beleidigt, und das zu Recht.

ABBA wehrt sich beharrlich dagegen, wieder zusammen aufzutreten

Denn was sind Abschiedstränen wert, wenn es nur Krokodilstränen sind, die aus Euro-Zeichen-Augen kullern? Klar, auch Cream hat sich mehrfach (1993 und 2005) für ein paar Gigs wiedervereint, Led Zeppelin 2007 immerhin für eine Nacht und ohne den toten John Bonham, dafür mit seinem Sohn Jason. Das waren tolle Konzerte, man hätte aber auch - gerade für die Pflege der eigenen Mythen - darauf verzichten können. So wie das Schweden-Quartett ABBA, das sich seit 1982 beharrlich und konsequent weigert, wieder gemeinsam auf die Bühne zu gehen.

Allerdings rücken die Einschläge auch bei ABBA näher. Björn und Benny arbeiten seit Jahren zusammen und von Agnetha und Anni-Frid heißt es aktuell auch, dass die Mädels wieder zusammen singen wollen.

Aber vor der Reunion ist erst einmal die Abschiedstournee dran. Ob eher kleine Bands wie diese Woche Client und Virginia Jetzt! oder Stars Marke a-ha (28. Oktober, O2 World), Scorpions (19. November, O2 World) und Simply Red (29. November, O2 World): Ohne letzte Worte und mehr Licht wird die Bühne nicht verlassen. Die finale Tournee! Das letzte Abschiedskonzert von a-ha in Hamburg ist gerade mal ein Jahr her. Aber wenn die Nachfrage stimmt, darf es noch etwas mehr sein.

Vielleicht kommen die Scorpions tatsächlich nie wieder. Vielleicht wirft a-ha wirklich das Handtuch in den Ring. Aber was ist in zwei, fünf, zehn Jahren, wenn der Kontostand knietief im Dispo und die geliebte Gitarre am Nagel hängt? Eine neue Runde, eine neue Wahnsinnsfahrt. Alter Mann zum Mitreisen gesucht. Das nächste Comeback, die nächste Abschiedstour. Ab 56 Euro im Vorverkauf. Oder um es mit einem Filmzitat aus "Bang Boom Bang" zu sagen: "Die bescheißen uns, wir bescheißen eine andere - is' Kreislauf."

Übrigens müssen wir leider zugeben, dass Marius Müller-Westernhagens Konzert an jenem Dezembertag 2008 wirklich sensationell gut war. Wir denken bis heute daran zurück als Abend mit dem größten Unterschied zwischen vor dem Konzert ("bäh!") und nach dem Konzert ("boah!"). Punktsieg für Moaaarius. Und darum gehen wir lieber zu seinem Auftritt am 28. Oktober in die Hamburger O2 World als zum Abschiedskonzert am 19. Februar an gleicher Stelle ... mit den Flippers.