Dem Publizisten Manfred Bissinger zum 70. Geburtstag

Hamburg. Da sitzt er nun, umgeben von gepackten Umzugskisten: Manfred Bissinger. Gestutzter Bart, dunkles Jackett, fester Händedruck. Doch als erstes spricht man nicht über den anstehenden runden Geburtstag - Manfred Bissinger wird heute 70 Jahre alt -, man möchte wissen, warum ein Mann, der zu den profiliertesten linksliberalen Publizisten der vergangenen 45 Jahre zählt, vor zweieinhalb Monaten den Aufruf für längere Laufzeiten der Kernkraftwerke unterschrieb. Ausgerechnet Bissinger. Der noch 2002 in einem Gastbeitrag für den "Tagesspiegel" den von der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Atomausstieg als Erfolg pries.

2002, das war auch das Jahr seiner größten Enttäuschung - kurz nach dem Platzen der New Economy Blase musste die von ihm mitgegründete Zeitung "Die Woche" eingestellt werden.

Vor unbequemen Meinungen hat sich Bissinger noch nie gedrückt. Tut es auch jetzt nicht. Die Energiepolitik sei ihm so vertraut, dass er den Appell "guten Gewissens unterschreiben konnte". Manfred Bissinger ist Herausgeber des Kundenmagazins des Kernkraftwerkbetreibers RWE. Es versucht gar nicht erst, diesen Umstand kleinzureden: "Es ist doch völlig normal, wenn ein Journalist bei veränderter Sachlage seine Meinung auch mal ändert."

Er selbst hat dies oft getan und so einen weiten Weg zurückgelegt. Die Schule verließ er nach der mittleren Reife und volontierte zunächst bei der "Augsburger Allgemeinen", ein linker Bürgerschreck, der seine Kinder antiautoritär erzog und für den "Stern" Kontakte zur Apo unterhielt. Stets galt Bissinger als brillanter Journalist. Seine Berufsgruppe unterteilt er in Merker (die wollen nur schreiben) und Täter (die wollen verändern). "Ich bin immer ein Täter gewesen", sagt er. Das gilt für alle Stationen seiner Karriere: ob als Pressesprecher des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose oder als Chefredakteur von "Konkret" und später"Natur".

1989 übernahm Bissinger die Chefredaktion des Reisemagazins "Merian" und trat damit in die Dienste des Hamburger Verlegers Thomas Ganske, dem er bis heute treu geblieben ist. Nur einmal hätte er ihn fast verlassen: 1991, als er bei Gruner + Jahr Chefredakteur von "Geo" werden sollte. In Wirklichkeit ging es aber um etwas anderes. "Die wollten mich für den ,Stern' haben", sagt Bissinger. Als er Ganske davon erzählte, habe der ihm angeboten, Chefredakteur der "Woche" zu werden. Bissinger schlug ein. "Mich reizte es, einen Maßstab zu setzen", sagt er.

Ganskes Verlagshaus wird er auch nach seinem Ausscheiden weiter beraten. Und er wird seine Briefwechsel - etwa mit dem Philosophen Günter Anders - herausgeben. Auch künftig ist mit unerwarteten Wortmeldungen zu rechnen. Wie er zur Energiepolitik der Bundesregierung stehe? Da winkt er gleich wieder ab. "Ach, der Plan will zu viel, die beschlossenen Laufzeiten sind mir zu lang." Ein Täter eben. Kein Merker.