Das Orchester Spira mirabilis wirft alle Klassik-Klischees über den Haufen. Zum Auftakt der Elbphilharmonie-Saison spielt es Beethoven im Docks

Es riecht übel im Docks auf der Reeperbahn. Ziemlich übel sogar. "Wie eine Mischung aus Erbrochenem und altem Bier", meint die junge Cellistin Luise Buchberger kichernd. Aber davon lassen sie und ihre drei Orchesterkollegen sich die Besichtigung nicht verderben. "Solange ein paar minimale Anforderungen erfüllt sind, ist jeder Raum okay!", betont Hornist Francesco Bossaglia. "Das Einzige, was zählt, ist die Musik." Dieser Satz formuliert das Credo von Spira mirabilis ("Wunderspirale"), einer frischen musikalischen Wundertruppe, die so ziemlich alle Klischees des Klassikbetriebs entschieden über den Haufen wirft.

Zum Beispiel das von den lästigen Proben. "Jeder Orchestermusiker verbringt in seinem Leben erheblich mehr Zeit mit Proben als mit Konzerten. Viele sehen das als Belastung - was für ein Jammer! Wir haben uns gedacht, dass es doch viel einfacher ist, wenn man seine Arbeit genießen kann."

Deshalb, erinnert sich Konzertmeisterin Lorenza Borrani, waren die ersten Treffen von Spira mirabilis ausschließlich für Proben reserviert: "Ein Konzert haben wir damals noch gar nicht geplant. Es ging uns vor allem darum, tiefer in die Musik einzusteigen, als es sonst möglich ist."

Spira mirabilis sind erstklassige professionelle Musiker, die das höchste Niveau gewohnt sind - und die regelmäßig unter einigen der größten lebenden Maestri spielen. Trotzdem kommen sie noch für ein paar Projekte pro Jahr im italienischen Städtchen Formigine zusammen, um den Partituren gemeinsam wirklich auf den Grund zu gehen.

Welch unglaubliche Energie und prägnante Tiefenschärfe entstehen kann, wenn alle Orchestermitglieder mit solistischer Verantwortung agieren und nicht nur die eigene Stimme, sondern das ganze Stück aus dem Effeff kennen, war Anfang September beim Musikfest Bremen zu erleben: Da fesselte Spira mirabilis seine Zuhörer mit einer dichten Interpretation der ersten Serenade von Brahms: Durch den intensiven Kontakt der einzelnen Instrumentengruppen erwächst aus abstrakten motivischen Strukturen plötzlich ein Dialog lebendiger Stimmen. Das ganze Orchester verwandelt sich so in einen organischen Klangkörper, der atmet, der sich bewegt und der dabei viel Seele und Herz zeigt. Das lässt keinen Hörer kalt.

Eine solche Ballung von künstlerischem Ernst, Kommunikationslust und Spielfreude ist ein kostbares Gut - dessen sind sich die jungen Musiker auch bewusst, wie Luise Buchberger sagt: "Wir wollen uns gar nicht vergrößern oder mehr Konzerte spielen. Denn es geht nicht um Wachstum, sondern darum, klein zu bleiben, um diesen Geist aufrechterhalten zu können."

Zur Saisoneröffnung der Elbphilharmonie-Konzerte spielt das Orchester an diesem Sonntag Beethovens 8. Sinfonie. Im Docks. Bis dahin ist der Gestank sicher längst verflogen.

Spira mirabilis So 3.10., 19.00, Docks, Eintr. 25,-