Ziemlich mexikanisch, diese Spielzeiteröffnung auf Kampnagel. Und gelungen

Hamburg. Fliegende Händler, sombrero- und ponchobewehrt, bieten in näselndem Spanisch ihre Ware feil. "Llévelo! Llévelo!", skandiert der eine, und der andere, in ganz anderem Rhythmus: "Una oferta! Una oferta!"

So zog der mexikanische Regisseur Claudio Valdés Kuri das Publikum schon vor dem ersten Takt von Carl Heinrich Grauns Oper "Montezuma" in eine ferne Welt hinein. Zum Glück gab es deutsche Übertitel bei der Spielzeiteröffnung auf Kampnagel. Denn bei diesem hoch verdichteten Drama - gesungen in italienischer Sprache - hätte man keine Zeile missen wollen.

Fast drei Stunden lang hielten Regisseur Claudio Valdés Kuri und Gabriel Garrido am Dirigentenpult den voll besetzten Saal in Atem - und das mit einer Geschichte, die unter anderen Umständen locker als übertrieben politisch korrekt und statisch hätte durchfallen können. Traf doch hier das vom königlichen Librettisten Friedrich dem Großen reichlich einäugig verarbeitete Drama um die Unterwerfung des engelsgleichen Aztekenherrschers Montezuma durch die blutrünstigen, goldgierigen Spanier ausgerechnet auf die Opera seria; eine Kunstform, die nur allzu gerne mit handlungsarmen, mythologischen Allegorien (dafür aber endlosen Koloraturarien) den jeweils Herrschenden huldigte.

Ganz anders bei Valdés Kuri. Sein lustvolles, aber gar nicht plattes Spiel mit dem Klischee hielt er den ganzen Abend durch. Ein paar fahrbare Treppenpodeste und eine weiße Projektionsfläche reichten Bühnenbildner Herman Sorgeloos in den ersten beiden Akten aus, um im Kopf des Betrachters aus Tempeltreppen und Abendsonnen ein abstrahiertes Mexiko entstehen zu lassen. Ähnlich knapp und präzise gelang ihm die Bildsprache bei den Kostümen: Die schlichten Überwürfe der Frauen und die unbekümmerte Schmuckpracht der Männer zeigten die ganze Anmut der Azteken. Selbst die viele nackte Haut wirkte bei ihnen anrührend unschuldig.

Hehre Menschheitsthemen verhandeln Komponist Graun und sein königlicher Librettist. Allenthalben spricht Montezuma von Liebe und Frieden; noch als seine engsten Vertrauten ahnen, dass die Sache mit den Gästen von Übersee kein gutes Ende nehmen wird, will er sie einfach verstehen.

Dass Valdés Kuri diese Glorifizierung nicht mitmachte, zeigte er, wo er konnte: Eigenhändig vollzog Montezuma, eindringlich gesungen und gespielt von dem Sopranisten Flavio Oliver, ein Menschenopfer zu heitersten A-Dur-Klängen. Und wagten sich einmal die Fliegenden Händler, Sinnbild der untersten Gesellschaftsschicht, auf die Bühne, verjagte er sie unerbittlich.

Die Spanier blieben aber auch bei Valdés Kuri die Finsterlinge, die schon das Libretto aus ihnen macht. Bei ihnen nahmen sich die entblößten Oberkörper wie eine Aggression aus. Da verwunderte es nicht, dass der hyperaktive, Kokain schnupfende Cortés, gesungen von dem Sopranisten Adrián-George Popescu, die Demütigungen bis zur Vergewaltigung trieb - auf offener Bühne und mit entblößtem Gemächt.

Ein erfreulich homogenes Sängerensemble hatte Gabriel Garrido zusammengestellt. Die Intensität ihres Spiels machte die kleinen stimmlichen Mängel locker wett. Die Sopranistin Lourdes Ambriz als Montezumas Braut Eupaforice sang die abenteuerlichsten Koloraturen, während sie sich auf dem Rücken liegend mit dem Kopf nach unten eine Treppe hinaufrobbte. Berückende Momente gelangen Lina López als Eupaforices Vertrauter mit rundem, beweglichem und hörbar am barocken Repertoire geschulten Sopran.

Das Barockensemble Concerto Elyma tat sich in der trockenen Akustik klanglich anfangs schwer. Umso mehr ist zu würdigen, zu welchem Leben die Musiker den galanten und dabei so empfindlichen Melodien Grauns verhalfen. Insbesondere in den düsteren Mittelteilen schien der ganze Saal den Atem anzuhalten, und die Konzertmeisterin Olivia Centurioni krönte ihre paar Soli mit silbrig-feinem Ton.

Dass es im letzten Teil zunächst ziemlich klapperte, lag auch daran, dass die Musiker nun als Teil der Szene im Halbkreis auf der Bühne saßen. Mit den Gesangssolisten und dem hervorragenden Chor Coro de Ciertos Habitantes bildeten sie das kollektive Sterben bezwingend ab - in der Mitte Montezuma als Gekreuzigter ohne Kreuz. An der Kraft dieses Bildes konnte auch das "lieto fine", das unvermeidliche glückliche Ende der Opera seria, nicht rütteln. Zum Glück.

Weitere Vorstellungen: 1. und 2.10., jeweils 20 Uhr, Kampnagel. Karten unter T. 270 94 90