Die Hamburgerin Hermine Huntgeburth hat Sven Regeners “Neue Vahr Süd“ verfilmt. Die Regisseurin verblüfft durch eine regenbogenbunte Filmografie.

Der Name ist so besonders wie die Frau, die ihn trägt. Man muss ihn langsam aussprechen, mit hart am Gaumen anschlagenden Konsonanten, damit er seine spröde Schönheit, seinen altdeutschen Charme entfaltet: Hermine Huntgeburth.

Die Regisseurin, die an diesem Morgen durch die Tür des Ottenser Cafés hereinhuscht, hat viele Jahre gebraucht, um mit diesem Vornamen inmitten all der Sabines, Angelikas und Monikas ihrer Generation warm zu werden - und dass sie ihn heute mit Stolz trägt, hat wenig mit Harry Potter und seiner Hermine Granger zu tun, aber viel mit einem Gefühl des Angekommenseins im Leben.

Hermine Huntgeburth gehört zu den produktivsten, wandlungsfähigsten deutschen Filmregisseurinnen - und müsste in ihrer Heimatstadt Hamburg, wo sie seit 1977 lebt und ihre eigene Produktionsfirma Josefine Film führt, eigentlich Fatih-Akin-berühmt sein, mindestens. Dass sie es nicht ist, liegt einerseits an einer Öffentlichkeit, die Künstler meist als solche definiert, wenn sie in Magazinklatschspalten auftauchen und sich wie Popstars aufführen. Andererseits ist Huntgeburth keine, die ins Rampenlicht drängt, die großes Gewese um die eigene Person macht. Sie ist mit dem Pragmatismus einer Frau gesegnet, die eher zum Machen neigt als zum Grübeln. Mehr Tat als Plan.

So hat sie es im Lauf ihrer Karriere auf beachtliche 20 Langfilme für Kino und Fernsehen gebracht - und die lassen sich so wenig nach Genre und Tonart sortieren, dass es Schubladendenker gruseln muss. Huntgeburth verblüfft durch eine regenbogenbunte Filmografie, in der für eine moderne Version von Fontanes Emanzipationsparabel "Effi Briest" ebenso Platz ist wie für das Sorgerechtsdrama "Der verlorene Vater" und die Hexenweiber in "Bibi Blocksberg". Ihr jüngster Streich, die Adaption von Sven Regeners Coming-of-Age-Roman "Neue Vahr Süd" um den Anti-Helden Frank Lehmann feiert am Freitag beim Filmfest Hamburg Premiere. Ein Jungsfilm, eine 80er-Jahre-Hommage, ein Bundeswehrklamauk mit rührenden Momenten.

Mehr als bei Frank sind die Gedanken der Regisseurin aber derzeit bei Tom - bei "Tom Sawyer" nämlich , ihrem aktuellen Projekt nach dem gleichnamigen Jugendbuchklassiker von Mark Twain, den Huntgeburth als "einen großen Abenteuerfilm mit moralischen Konflikten" beschreibt - und wenn sie ins Schwärmen gerät von Filmen und langjährigen Weggefährten, ist die Müdigkeit aus ihren Augen in Sekunden wie weggeblinzelt.

Ihr Gesicht ist ungeschminkt, der Körper ein wenig ruhelos-ungeduldig, was weniger einer schlechten Laune als dem eng getakteten Zeitplan der vor ihr liegenden Woche geschuldet ist. Vor allem ist Huntgeburth blitzschnell in ihren Antworten. Ihre Gehirnwindungen müssen um ein Vielfaches schneller ineinandergreifen als die der übrigen Frühstückenden. Sie vervollständigt Fragen, die noch unfertig im Raum hängen; andere, die ihr überflüssig scheinen, quittiert sie mit gekräuselten Augenbrauen: "Häh, wie jetzt? Warum sollen sich Regisseurinnen schwerer durchsetzen können als Regisseure?"

Hermine Huntgeburth hat es nicht nach ganz oben geschafft, irgendwo ans Regiefirmament sozusagen, weil sie eine Frau ist und auch nicht, obwohl sie eine Frau ist. Sie hat sich vielleicht einfach keine Gedanken gemacht um dieses Thema, sondern lieber nach guten Stoffen gesucht. Solchen, die beim Drehbuchlesen vor dem inneren Auge zum Leben erwachen und ihre Kreativität herausfordern. "Manchmal muss man auch zaubern können in diesem Beruf", sagt sie. Man muss aus wenig viel machen, am Set improvisieren und ungekannte Kräfte im eigenen Körper mobilisieren. Nur so entsteht Energie.

Von Energie und Lebendigkeit, also dem Gegenteil von Bequemfernsehen und Instantkino, ist überhaupt häufig die Rede an diesem Vormittag - und diese Worte unterstreicht die 52 Jahre alte Regisseurin mit hübschen Bewegungen ihrer Hände, von denen man sich gut vorstellen kann, dass sie eben noch im Garten gebuddelt haben. Sie fände die Vorstellung schrecklich, sagt Huntgeburth, dass Film ihr einziger Lebensmittelpunkt ist. Sie ist auch und gerne Familienmensch, sucht die Ruhe, den Schlaf, um sich dann wieder mit voller Konzentration dem nächsten Dreh hinzugeben. "Schlafen ist das, was ich am besten im Leben kann", sagt sie - was natürlich ganz offensichtlich nicht stimmt, wenn man auf ihr Schaffen blickt, und vielmehr sagen sollte: Sie weiß sich ihre Kräfte heute gut einzuteilen. Anders als nach ihrem ersten Kurzfilm, nach dessen Fertigstellung sie zwei Wochen durchschlief.

Es war ein weiter Weg von der Minna, wie sich Huntgeburth in ihren Mädchenjahren nannte, die im Theater in Paderborn an der Garderobe arbeitete und von Hollywood träumte, bis zu Hermine Huntgeburth, Spezialistin für ungewöhnliche Familiengeschichten, selbstbewusste Frauen und weniger selbstständige Männer. Ein sehr weiter Weg. Kein Grund, ihn nicht zu gehen.

Die Studio-Hamburg-Produktion Neue Vahr Süd hat am Freitag, 1.10., Premiere beim Filmfest Hamburg und läuft am 1. Dezember in der ARD.