Der inhaftierte chinesische Regimekritiker Liu Xiaobo wird für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, u.a. von Vaclav Havel und dem Dalai Lama.

Hamburg. Die chinesische Führung in Peking hat ein Problem, das täglich größer wird: Liu Xiaobo, 55, Schriftsteller und Weihnachten 2009 unter Ausschluss westlicher Beobachter wegen „Anstachelung zum Umsturz der Staatsgewalt“ zu elf Jahren Haft verurteilt, wird von immer mehr Menschen für den diesjährigen Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Ihre Stimme für den Bürgerrechtler haben erhoben: Vaclav Havel und andere Unterzeichner der tschechischen Charta 77, der Dalai Lama, der Präsident des amerikanischen PEN-Clubs Kwame Anthony Appiah und Bischof Desmond Tutu. Liu engagiere sich seit 20 Jahren für die Idee von „Freiheit und Menschenrechten für 1,3 Milliarden Menschen“.

Was noch schlimmer ist als die Appelle aus dem Ausland: Auch in China haben sich 300 Intellektuelle einer entsprechenden Internet-Petition namentlich angeschlossen – wohl wissend, dass sie sich damit unberechenbaren Repressionen aussetzen können. Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees wird am 8. Oktober bekannt gegeben, der Preis wird am 10. Dezember in Oslo verliehen. Liu Xiaobo wäre der erste Chinese, der damit ausgezeichnet wird.

Die Regierung in Peking reagiert denn auch alles andere als souverän auf die Petitionen. Sie versucht, die Nobelpreisjuroren durch Druck zu beeinflussen und die Vergabe des diesjährigen Friedensnobelpreises an den inhaftierten Schriftsteller Liu Xiabao oder andere Oppositionelle verhindern. Anderthalb Wochen vor der Entscheidung in Oslo sagte der Direktor des norwegischen Nobelinstitutes, Geir Lundestad, im Fernsehsender NRK, dass unter anderem Vize-Außenministerin Fu Ying ihm gegenüber mit einer „Verschlechterung der chinesisch-norwegischen Beziehungen“ gedroht habe, falls die Auszeichnung an einen der nominierten Dissidenten vergeben werde. China soll auch früher schon das Komitee unter Druck gesetzt haben.

Norwegens Außenminister Jonas Gahr Støre berichtete im Sommer, dass auch das Politbüro-Mitglied aus der Kommunistischen Partei Chinas, He Guoqiang, bei einem Oslo-Besuch im Juni „das Nobelkomitee und dessen Arbeit“ angesprochen habe. Lundestad hatte mehrfach öffentlich berichtet, dass die chinesische Führung auch schon vor und nach der Vergabe des Preises 1989 an den tibetanischen Dalai Lama politischen Druck ausgeübt habe. Das Komitee lasse sich bei seinen Entscheidungen nicht unter Druck setzen, sagte Lundestad.

Chinas Regierung warnt offen vor einer „für jeden offensichtlichen total falschen Entscheidung“ und versucht andererseits, sich weißzuwaschen mit einem „Weißbuch zu den Menschenrechten in China“, demzufolge fast schon verwirklicht ist, was Liu Yiaobo, seine Mitautoren und 10.000 chinesische Mitunterzeichner in der „Charta 08“ forderten, die sie dem schöngefärbten Propagandabild anlässlich der Olympischen Spiele 2008 entgegenstellten.

In 19 Forderungen wird in der „Charta 08“ verlangt, was China auf den Weg zu einem demokratisch regierten Mitglied der Völkergemeinschaft machen soll, u.a. die Gewährleistung der Menschenrechte, freie Wahlen, eine politisch neutrale Polizei und Beamtenschaft, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, soziale Sicherheit und eine unabhängige Aufarbeitung der repressiven Vergangenheit.

Noch sind in Peking die Kräfte in der Minderheit, die sich mit Kritikern zivilisiert auseinandersetzen wollen; noch verschwinden Leute wie Liu Xiaobo für Jahre im Gefängnis. Der Literaturdozent und ehemalige Präsident des unabhängigen chinesischen PEN-Clubs sitzt etliche Autostunden von Peking entfernt im Gefängnis Jingzhou in der Provinz Liaoning. Seine Frau, die Künstlerin Liu Xia, darf ihn einmal im Monat besuchen und ihm Bücher mitbringen. Seine Haftzeit endet, sollte das Urteil gnadenlos vollstreckt werden, am 21. Juni 2020.