Das Hamburger Theaterfestival startet am Sonntag mit Andreas Kriegenburgs bildmächtiger Inszenierung von Franz Kafkas “Der Prozess“.

Hamburg. Das Beste kommt zum Schluss? Vielleicht. Vielleicht kommt es auch gleich am Anfang, wenn das zweite Hamburger Theaterfestival am Sonntag mit "Der Prozess", einem Gastspiel der Münchner Kammerspiele, eröffnet wird. Und wenn es zwei Tage später einen anderen Höhepunkt dieses überaus attraktiven Festivals zu sehen geben wird: "Der Weibsteufel", eine Produktion des Wiener Burgtheaters. Beide Inszenierungen zählen zum Aufregendsten, was das deutschsprachige Theater in den vergangenen Jahren zu bieten hatte, und sind bereits auf einigen Festivals bejubelt worden.

Doch ebenso könnte man weitere Gastspiele, die das Festival bis Ende Oktober in Hamburg präsentieren wird, als Höhepunkte bezeichnen. Jürgen Goschs "Onkel Wanja" (24. Oktober), Christoph Schlingensiefs "Mea Culpa" (ebenfalls 24. Oktober), Schauspieler und Schauspielerinnen wie Barbara Sukowa (die am 14./15. Oktober in "Quartett" zu sehen sein wird), Sunnyi Melles (die als Phädra am 16./17. Oktober hierher kommt), Ulrich Matthes (der gleich zweimal gastiert, mit "Onkel Wanja" und mit "Endspiel" am 31. Oktober) oder Martin Wuttke (am 21./22. Oktober in "Gretchens Faust"). Eigentlich möchte man sich keine dieser aufregenden Inszenierungen entgehen lassen.

Das Besondere dieses Theaterfestivals besteht darin, dass fast alle präsentierten Regiearbeiten großes, kulinarisches Theater zeigen werden und herausragende Schauspielleistungen. Angefangen mit Kafkas "Der Prozess", den Hamburgs ehemaliger Oberspielleiter Andreas Kriegenburg als visuelle Zauberei, als bildmächtige, optisch berauschend schöne Parabel inszeniert hat. Das seltsame Leiden der Hauptfigur an einem ominösen Gerichtsprozess lässt er acht Schauspieler auf einer eindrucksvollen vertikalen Drehbühnenkonstruktion akrobatisch und slapstickhaft komisch durchexerzieren. Die Welt ist ihnen eine schiefe Scheibe, und wer nicht aufpasst, fällt herunter. Ein Bild wie ein Traum.

Und auch ein Albtraum. Denn was der Angeklagte, Bankprokurist Josef K., im Text erlebt, nämlich den sprichwörtlichen kafkaesken Albtraum, sehen wir sinnlich vor Augen: Josef K. wacht eines Morgens auf und wird grundlos verhaftet, aber nicht festgenommen, um ein Jahr lang rechtlos vor einem Gericht zu streiten und erfolglos nach seiner Schuld zu suchen, er rotiert auf der Bühne. Schließlich wird er, nach wie vor grundlos, noch dazu wehrlos, hingerichtet. Auf der Drehscheibe, die sich am wohlsten in der Senkrechten fühlt, vollführen auch die übrigen sieben Schauspieler nahezu das ganze Stück über Meisterleistungen. Während sie zwischen zwei angenagelten Tischen, einem Dutzend Stühlen und einem Bett wie Bergsteiger ihres Alltags kriechen und keuchen, verwandeln sie sich in clowneske Chaplins oder erotische Objekte. Man hat Angst, sie könnten zermalmt werden, sie entwickeln einen geradezu surrealen Zauber.

Nicht anders Martin Kusejs "Weibsteufel"-Inszenierung, die sich kammerspielartig auf drei Personen konzentriert: Eine Frau zwischen zwei Männern, einem Grenzwächter (ihr Ehemann) und einem Schmuggler. Auch hier wird mächtig im Bühnenbild herumgekraxelt. Schließlich befindet man sich in den Bergen, inmitten von Baumstämmen, die hingeworfen wie ein Mikadospiel wirken. Auch hier droht ständig der Absturz. Regisseur Martin Kusej hat das etwas altertümliche Stück von 1915 als hochspannenden Balanceakt inszeniert. Um selbst besser schmuggeln zu können, verlangt der Wächter von seiner Frau, den Schmuggler zu umschnurren. Erst zögert sie, dann spielt sie die beiden Herren lasziv und schön fies gegeneinander aus.

Die wunderbar vielseitige Minichmayr gurrt und lockt, zaudert und zockt und am Ende hat die Verführerin einen der Männer um mehr als seinen Verstand gebracht. Werner Wölbern - auch er ein Hamburger Theaterstar - als verbissener, verzweifelter Ehemann und Nicholas Ofczarek, der rasend begabte Held vom Wiener Burgtheater, als gelackter Verführer und grobschlächtiger Kraftbolzen, liefern sich mit der Frau einen gefährlichen Geschlechterkampf. Das sollte man gesehen haben.

Am 14. Oktober geht's weiter mit Macht, Verführung und Intrigen. Barbara Sukowa, eine der wenigen internationalen Filmstars, deren Karriere am Hamburger Schauspielhaus begann, gastiert auf Kampnagel mit Heiner Müllers "Quartett". Darin dreht es sich um die aus Stephen Frears Film bekannten gefährlichen Liebschaften der Marquise de Merteuil und des Comte de Valmont. Ihr Gegenspieler ist Jeroen Willems. Zwei Intriganten, die auch in die Rollen ihrer Liebesopfer schlüpfen, mehr Zynismus geht nicht.

Das Thema Liebe und auswegslose Leidenschaft steht auch im Mittelpunkt der Inszenierung von Racines "Phädra", die Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann im Sommer bei den Salzburger Festsspielen herausbrachte und die nun im Thalia-Theater gastiert. Sunnyi Melles, Hans-Michael Rehberg, Paulus Manker und Sylvie Rohrer sind einige der Schauspieler, die man bewundern kann. Ein All-Star-Ensemble, das Tragik, Komik und Krimi aus dem Stück über Phädra, die sich rasend in ihren Stiefsohn verliebt, kitzeln kann.

Wenn wir diese attraktive Tour de Force des Theaters hinter uns haben, schauen wir nach vorn, auf weitere tolle Gastspiele. Doch davon später mehr.

Karten, Infos: www.hamburger-theaterfestival.de Am 16.10. (19 Uhr, Thalia-Theater, Beginn des Stücks 20 Uhr) erklärt Sylvie Rohrer "Phädra", am 24.10. (18 Uhr, Thalia-Theater, Beginn des Stücks 19 Uhr) spricht Constanze Becker über "Onkel Wanja". Karten nur über die Abendblatt-Ticket-Hotline 040/30 30 98 98, 55-66 Euro inkl. eines Glases Sekt.