Gestern Abend begann das Reeperbahn Festival. MTV-Legende Ray Cokes lud zur Revue ins Schmidt ein

St. Pauli. Aus dem Docks dröhnt Gitarrenlärm: Johnossi beim Soundcheck für ihr Konzert gestern Abend. Nebenan vor dem Medusa blättert ein Pärchen mit orange Festivalbändern um den Hals durch den handlichen Pocketguide und diskutiert die Abendplanung. An den Ticketcountern auf dem Spielbudenplatz bilden sich erste Schlangen von Fans, die ihre Tickets gegen Festivalbändchen umtauschen. 100 Meter weiter freuen sich die Poster-Künstler beim Flatstock Europe in ihren Zeltpavillons über das herrliche Wetter. Vor dem Schmidt-Theater drängen sich Kameraleute und Fotografen, um erste Eindrücke von der Eröffnung des fünften Reeperbahn Festivals und des zweiten Reeperbahn Campus festzuhalten.

In diesem Jahr eröffnet Kulturstaatsminister Bernd Neumann das bedeutende Klubfestival. In seiner Rede im Schmidt betont er, dass das Reeperbahn Festival längst zum Premium-Partner der von ihm ins Leben gerufenen "Initiative Musik" mit den Schwerpunkten Export und Nachwuchs geworden sei. Zwei Stunden vorher hatte er sich bei der Jahrestagung der deutschen Konzertveranstalter auch zur angespannten Kultursituation in Hamburg geäußert: "Leider wird auch in Hamburg gefragt: Brauchen wir alle Theater, alle Museen? Meine Antwort: Ja! Kunst und Kultur sind nicht das Sahnehäubchen, sondern die Hefe im Teig."

Als Stargast der Eröffnung ist der US-Musikmanager und Madonna-Entdecker Seymour Stein nach Hamburg gekommen. Er verteilt eine ganze Reihe von Komplimenten an die Hansestadt: "Hier ist immer noch das Herz und die Seele der deutschen Musikindustrie." Und später: "Ohne Hamburg und die Beatles hätte es Großbritannien nie auf die Landkarte der Popmusik geschafft. Da war vorher gar nichts." Warner-Chef Bernd Dopp lobte ebenfalls den Standort mit seinen vielen Klubs, mahnte aber an, die geplante St. Pauli Music Hall möglichst schnell umzusetzen, um ein Bindeglied zwischen den Klubs und den großen Arenen herzustellen.

Musikalisch fängt das Festival so richtig an, wenn Ray Cokes zu seiner Reeperbahn Revue ins Schmidt lädt. Die britische MTV-Legende präsentiert sich wie aus dem Ei gepellt, gewohnt spitzzüngig und bestens gelaunt. "Rock 'n' Roll braucht eine Bar", verkündet er und verpflichtet erst einmal drei Besucher als Bierzapfer, Kellnerin und Facebook-Fotograf. Als erster Künstler greift der Schwede Timo Räisänen in die Saiten seiner Akustikgitarre. Dem ernsthaften jungen Mann entlockt Cokes im Interview neben musikalischen Details das Geständnis, einen finnischen Saunawettbewerb gewonnen zu haben. "Lasst uns alle nackt sein", brüllt Cokes, als die junge Sängerin Caitlin Rose aus der Country-Hochburg Nashville ihn fragt, ob er sich denn seine Gäste als Hilfe gegen die Nervosität unbekleidet vorstelle.

Da ist man schon bestens eingestimmt für die belgische Soulsängerin Selah Sue im Docks, den romantischen Rock der russischen Band Punk TV im Molotow und all die anderen Bands der ersten Nacht.