Doron Rabinovici ist mit “Andernorts“ einer der Favoriten für den Deutschen Buchpreis

1942 ist der Messias auf die Erde gekommen. Das erzählt Rabbi Berkowitsch, der zwar ultraorthodox ist, dennoch auf die moderne Hochleistungsgenetik setzt. Der Messias existierte als Embryo, der im Mutterleib in die Gaskammer getrieben und dort ermordet wurde. Mithilfe der DNA direkter männlicher Nachfahren soll er in der Retorte zu neuem Leben erweckt werden. Die Welt braucht einen Retter.

Das ist die Ausgangsskurrilität in der Komödie des 1961 in Tel Aviv geborenen, seit 1964 in Wien lebenden Doron Rabinovici, der ein wunderbares Buch geschrieben hat. Spannend, sentimental, von Traurigkeit erfüllt, die mit jüdischem Witz getränkt ist, und urkomisch wie die besten Filme von Woody Allen. Nach drei wenig beachteten Büchern hat der Autor nun eines geschrieben, das rundum gelungen ist. Es ist blasphemisch, ironisch und melancholisch, eine verquere Familiengeschichte, Attacke gegen das orthodoxe Judentum und vertrackte Genealogie.

Rabinovici mixt das patriarchalische Milieu der Alten, die den Holocaust überlebt und den Staat Israel aufgebaut haben, mit der jungen israelischen Generation von heute, die stöhnt über die Politik des Staates, jede Gelegenheit zur Flucht nutzt und sich - zumindest zeitweise - in die Diaspora absetzt, um sich wieder zurückzusehnen. Das ist nicht nur kess geschrieben, wie es nur ein Insider kann. "Andernorts" spielt in Tel Aviv und Wien, diese Städte und ihre Milieus kennt der 48-Jährige bestens. In beiden regieren die Gespenster der Vergangenheit, mit denen sich die Mischpoke herumquält, um eine jüdische Identität zu erringen. Es geht um Heimatsuche.

Rudi Klausinger, österreichischer Judaist und Kollege des in Wien lebenden israelischen Kulturwissenschaftlers Ethan Rosen, soll dessen Halbbruder sein. Das gibt Zores, denn Ethan steht mit ihm immer schon in Konkurrenz, die beiden mögen sich nicht, seitdem sie dieselbe Professur an der Wiener Universität anstrebten. Doch nun will Dina, Ethans Mutter, den verlorenen Sohn in die Familie aufnehmen, das empfindet der leibhaftige Sohn als Provokation. Rudi ist nett, gefällig und anpassungsfähig, Ethan ruhelos, getrieben und unangepasst. Sein Vater Felix Rosen hat Auschwitz überlebt, nun wartet er im Krankenhaus darauf, dass jemand ihm eine Niere spendet. Weil es auf den Tod zugeht, verrät er, dass er Rudi gezeugt hat. Der entwickelt sofort Gefühle für seinen Vater und macht sich beherzt auf die Suche nach der neuen Niere. Dabei gerät er an den obskuren Rabbi Berkowitsch, der beide Söhne des alten Rosen - im Gegenzug für eine Niere - nötigt, ihre Samen für das Genom-Projekt zu spenden, mit dessen Hilfe der Messias entstehen soll.

Der Familienkonflikt gewinnt Freudsche Dimensionen. Es geht um Verdrängung, Rivalität zweier Wissenschaftler, den Zionismus, der Israel anfangs stark machte, und den modernen Staat der Juden mit seiner Dynamik in Forschung und Wirtschaft, aber auch die fatalen Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern. Zudem soll die historische Katastrophe des Todes des Messias in Auschwitz durch verwegenes Klonen rückgängig gemacht werden. Ein kunterbuntes Durcheinander mit verblühender Kibbuz-Herrlichkeit, jüdischen Festen, linkszionistischen Wiener Jugendgruppen. Geschildert wird, dass sich Israels mythische Identität in der globalen Welt in ein postmodernes Muster auflöst.

"Andernorts" ist ein Roman über weltweite soziale Veränderungen, die sich auch im Privatesten niederschlagen, er hält keinen Trost parat, unterhält aber mit unvergesslichem Humor und macht nachdenklich.

Doron Rabinovici: "Andernorts". Suhrkamp-Verlag. 286 S., 19,90 Euro