Der ehemalige Thalia-Intendant, jetzt Chef des Deutschen Theaters Berlin, blickt irritiert auf die “kulturpolitischen Katastrophen“ in Hamburg

Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir bei immer mehr verfügbarem Wissen gleichzeitig immer weniger verstehen. Beim Blick auf die kulturpolitischen Katastrophen in Hamburg verstärkt sich dieser Eindruck. Die Verschleppung der notwendigen Baumaßnahmen im Schauspielhaus, die Sparauflagen, die in immer kürzeren Abständen angedroht, relativiert und dann doch durchgezogen werden, sind Grund genug für einen Intendanten, die Reißleine zu ziehen.

Dennoch hätte ich mir vorstellen können, dass Friedrich Schirmer statt hinzuwerfen ein Jahr des zivilen Ungehorsams mit vielen politischen Aktionen hätte ausrufen und auf diesem Weg zeigen können, es geht ums Ganze. Das muss nun ein um seinen Chef dezimiertes Schauspielhaus alleine versuchen. Und das in einer Situation, in welcher der neue Hamburger Kultursenator und sein Bürgermeister gleich mal gemeinsam beweisen, wie gänzlich unbedarft sie sind.

Die Idee eines gemeinsamen Intendanten für Thalia-Theater und Schauspielhaus ist Unsinn. Die beiden großen Hamburger Häuser stehen ja in fruchtbarer Konkurrenz zueinander. Der Generalintendant müsste also selbstständige künstlerische Leitungen für jedes Theater installieren, die am jeweiligen Profil arbeiten, also gewissermaßen machtvolle Unter-Intendanten.

August Everding hat diese Generalintendanten-Erfahrung vor Jahren in München gemacht, als er mit seinem Frühstücksdirektorendasein für Nationaloper und Residenztheater so unterfordert war, dass er quasi nebenher die Theaterakademie gründete und das Prinzregententheater in neuem Glanz erstrahlen ließ. Eine solche über den Häusern schwebende Leitungsebene würde mehr und nicht weniger kosten und keinerlei Zugewinn bringen.

Dass der Kultursenator dann schnurstracks davon redet, künftig "vom Publikum aus denken zu wollen", und dass es nicht darum gehe, die Intendanten glücklich zu machen, das ist eine weitere Nebelwerfersentenz, die nur auf Wirkung zielt, ohne irgendetwas Konkretes auszudrücken. Um das Glück der Intendanten ist es ohnehin nie gegangen, musste es auch nicht, sondern darum, dass die Kultureinrichtungen genügend Mittel zur Verfügung haben, um vernünftig ihre Arbeit zu machen. Und das wünscht sich auch das Publikum, dem diese ganze Arbeit gilt.

Es ist ein Rätsel, warum eine schwarz-grüne Koalition, die gerade auf dem kulturellen, für das Profil Hamburgs doch mitentscheidenden Sektor ihren Modellcharakter beweisen könnte, dort zunehmenden Dilettantismus gestattet. Und wenn in den anstehenden Klausuren weitere Sparauflagen für die Oper und die Theater beschlossen würden, dann wäre das ein Debakel.

Die Häuser müssen gestärkt werden, gerade weil eines von ihnen in dieser Phase personell entscheidend geschwächt ist. Dass man seriös und verlässlich miteinander arbeiten kann, das haben wir am Thalia-Theater trotz aller Konflikte im Einzelnen ja jahrelang erfahren. Zu diesem Kurs sollte die Politik Hamburgs zurückkehren.