Die Box “Africa - 50 Years Of Music“ schaut zurück und neue Alben aus Mali, Südafrika und dem Senegal in die Zukunft des afrikanischen Pops.

Die Wiege der Menschheit, sie stand in Afrika. Davon war nicht nur Charles Darwin überzeugt, das ist heute auch anthropologischer Konsens. Und was für den Homo sapiens gilt, das gilt auch für seine Musik. So zynisch es klingen mag, Sklavenhandel und Kolonisation hatten den positiven Effekt eines kulturellen Austausches, der bis heute nachwirkt. Ob Blues oder Jazz, ob Hip-Hop oder Soul: Ohne Afrika hätten wir all das nicht. Und umgekehrt stimmt's ebenso. Die kapverdische Morna ist ein Geschwister des portugiesischen Fado, und im Sound des senegalesischen Orchestra Boabab sind die karibischen Wurzeln unüberhörbar.

Von der afrikanischen Musik zu sprechen ist deshalb Unsinn, was Saxofonist Manu Dibango aus Kamerun hübsch illustriert, wenn er darauf hinweist, dass es allein in seiner Heimat 80 verschiedene ethnische Gruppen und 200 Dialekte gibt. Auf den kompletten Kontinent hochgerechnet macht das unzählige musikalische Ausdrucksformen, die sich selbst mit einer 18-CD-Box wie "Africa - 50 Years Of Music" nicht vollständig abbilden lassen. Und so fallen zunächst einmal die Lücken auf, für die es nicht nur lizenzrechtliche, sondern auch platztechnische Gründe gibt. Da fehlt King Sunny Adé, der König des JuJu, ebenso wie die Tuareg-Truppe Tinariwen, wird Boubacar Traoré aus Mali so schmerzlich vermisst wie Souad Massi aus Algerien. Und doch, allen Auslassungen zum Trotz, ergießt sich hier ein Füllhorn, wird, wer sich hineinstürzt in diesen Mahlstrom der Rhythmen, reich beschenkt.

Zum Beispiel von den überragenden Bands Konono No. 1, Kassaï All Stars und Staff Benda Bilili, sämtlich aus der Demokratischen Republik Kongo, deren hypnotisierende Groove-Gebilde die Tänzer nicht nur in Kinshasa in tranceartige Zustände versetzen. Überragend auch die Auswahl äthiopischer Musik aus den Jahren 1969 bis 1991. Neben Sängerin Aster Aweke, landläufig als "Aretha Franklin Afrikas" bezeichnet, findet sich mit Vibrafonist Mulatu Astatke noch ein außerhalb Afrikas halbwegs bekannter Musiker. Ansonsten: ein Paradies für Spurensucher. Was für die komplette Box gilt, denn wer sich durch die CDs hört, stolpert zwar über manch bekannten Namen (Khaled, Salif Keita, Youssou N'Dour), geht aber vor allem auf eine Entdeckertour, die in immer längeren Wunschlisten resultiert. Da heißt es dann per Internet-Recherche erkunden, wo sich mehr von D. O. Misiane & Shirati Jazz (flirrender Afrojazz aus Kenia) oder Luis Morais (sehnsuchtsvolle Klarinettenklänge von den Kapverden) finden lässt. Eine definitive Sammlung afrikanischer Musik ist "Africa - 50 Years Of Music" gewiss nicht, wo 18 CDs kaum ausreichen würden, auch nur die ungeheure Vielfalt eines einzigen Landes wie Mali abzubilden.

Doch wer mehr als nur eine blasse Ahnung von den vielen Haupt- und Seitenwegen bekommen möchte, die Musiker zwischen Algier und Kapstadt in den vergangenen Jahrzehnten eingeschlagen haben, liegt mit dieser Box richtig. Und riskiert vielleicht auch mal einen Blick ins Novitäten-Regal, in dem sich just die neue CD von Simphiwe Dana findet. "Kulture Noir" ist ein vom Geist des Gospels geküsstes Afrojazz-Album der aparten Südafrikanerin, die nicht umsonst Lena Horne und Sarah Vaughan zu ihren Vorbildern zählt. Die sämtlich von Dana selbst geschriebenen, in ihrer Muttersprache Xhosa gesungenen Lieder, die Liebesqualen und das Streben nach afrikanischer Einheit gleichermaßen thematisieren, strahlen eine zarte Wärme aus, ohne sich je in konturenlose Beliebigkeits-Arrangements zu verlieren. Ein großer Schritt für die Dreißigjährige, die in ihrer Heimat als legitime Nachfolgerin der unvergessenen Miriam Makeba betrachtet wird.

Hohe Erwartungen erfüllt auch Cheikh Lo mit "Jamm". Fünf Jahre hat der Senegalese daran gearbeitet und einen musikalischen Gemischtwarenladen abgeliefert, über den er selbst sagt: "Es ist wie ein großer Korb: Ein bisschen Käse hier, ein bisschen Brot dort, ein wenig Schokolade und einen Cocktail auf der Seite. Es gibt für jeden etwas." In Genres übersetzt, bedeutet das: Traditionelle Mbalax-Rhythmen treffen auf Flamenco, Reggae, Salsa - und zwischendurch leuchtet auch noch eine absolut unwiderstehliche Surf-Gitarre oder das Saxofon des ehemalige James-Brown-Mitstreiters Pee Wee Ellis auf. So vielschichtig wie nahrhaft und übrigens ein echter Gegenentwurf zum Abschiedswerk des malischen Gitarristen Lobi Traoré, der ein letztes Mal seinen "Rainy Season Blues" spielt.

Eine einzige Session nur, keine Overdubs, nur der Mann und seine Gitarre: Reduzierter war Lobi Traoré, der im vergangenen Juni gerade mal 49-jährig starb, nie zuvor zu hören. Er liebte den rauen Delta-Blues eines John Lee Hooker und schuf seine eigene, westafrikanische Variante, der stets anzuhören war, dass er als Percussionist begann. Auf gerade mal 36 Minuten bringt es "Rainy Season Blues", doch sind die zehn Songs von solcher Dichte und Intimität, dass wohl niemand hier auf die Idee käme, das Preis-Leistungs-Verhältnis zu problematisieren. Im Gegenteil: Falls es noch eines Beweises bedurfte, Afrika zur kulturellen Wiege der Menschheit zu erklären, hier ist er.

Africa - 50 Years Of Music (Discograph/Alive) Simphiwe Dana: Kulture Noir (Skip Records) Cheikh Lo: Jamm (World Circuit) Lobi Traoré: Rainy Season Blues (Glitterhouse)